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Gewitter

Von

Schwarz fletscht in Weiß
Die blauspielfrohen Dünste starren hagelgelb.
Helle flackert
Täubt zu Boden.
Wüten
Steinigt
Schlossen!
Tottoll krallet um die Nacht.
Matt aufadert Blau das Recken
Bebet bäumet
Wuchtet
Hebt sich
Stemmt die Fäuste
Hartscharfkantig
Schellet Wolken
Hellet Ängste
Steht und streckt sich
Packt das Gurgeln
Und zerwürgt es
Nach ihm stürzend
Sich verbeißend
Kollernd rollend
In
Die
Leere!
Augen
Schleiern auf und schluchzen!
Tränen
Wellen
Lösen
Schrecken!
Lichter
Grellen
Hoch im Bogen!
Klänge
Schwingen
Freie
Starke
Sonnsiegklänge!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Gewitter von August Stramm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gewitter“ von August Stramm ist eine kraftvolle Verdichtung naturhafter Gewalt und innerer Erschütterung. In typischer expressionistischer Manier entfaltet Stramm ein sprachliches Inferno, das das Gewitter nicht bloß als Wetterphänomen beschreibt, sondern es symbolisch überhöht – als ekstatische Entladung von Energie, als Bild für existenzielle Angst, Zerstörung und vielleicht auch Erneuerung.

Bereits in den ersten Versen zeigt sich Stramms charakteristische Bildsprache: „Schwarz fletscht in Weiß“ ist eine synästhetische und fast animalische Darstellung von Kontrast und Bedrohung. Farben und Bewegungen vermengen sich in explosiven Bildern: „blauspielfrohe Dünste“, „hagelgelb“, „helle flackert“, „täubt zu Boden“. Die Natur erscheint entfremdet, aufgeladen mit Gewalt. Dabei verliert die Grammatik zunehmend an Bedeutung zugunsten von Klang, Rhythmus und Wirkung.

Das Gewitter wird zu einem eigenständigen Akteur, fast menschlich oder dämonisch: Es „wütet“, „steinigt“, „schlossen!“, und sogar der Tod erscheint mit „Tottoll krallet um die Nacht“. Diese personifizierende Darstellung steigert die Atmosphäre von Bedrohung. Gleichzeitig kämpft das lyrische Ich (oder eine nicht näher bestimmte Naturkraft) dagegen an: „Hebt sich / Stemmt die Fäuste / Hartscharfkantig“, bis hin zur Konfrontation mit dem „Gurgeln“, das schließlich „zerwürgt“ wird. Dieser Kampf ist nicht nur gegen die Natur, sondern gegen das Chaos, gegen das namenlose Grauen selbst.

Im zweiten Teil des Gedichts kehrt sich die Bewegung: Nach der zerstörerischen Entladung folgt eine Auflösung. „Augen / Schleiern auf und schluchzen!“, Tränen und Wellen stehen für Reinigung, Trauer oder auch Erlösung. Und schließlich ertönen „Sonnsiegklänge“ – ein hoffnungsvolles, fast transzendentales Finale. Diese Wendung ins Helle deutet auf einen dialektischen Aufbau: Chaos und Bedrohung führen zur Katharsis und zu neuer Kraft.

„Gewitter“ ist damit weit mehr als Naturlyrik. Es ist ein dramatischer Ausdruck innerer und äußerer Kräfte, die sich entladen, bekämpfen und überwinden. In der zersetzten Sprache, den harten Schnitten und Klangverdichtungen spiegelt sich das expressionistische Ringen mit einer zerrissenen Wirklichkeit – und zugleich eine Sehnsucht nach Ordnung, nach „Sonnsieg“, nach dem Durchbruch ins Licht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.