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Lapidarstil

Von

Ist das Deutsch schon so verdorben,
Daß man’s kaum noch schreiben kann?
Oder ist es ausgestorben,
Daß man’s spricht nur dann und wann?

Oder habet ihr vernommen,
Daß es bald zu Ende geht?
Daß die Zeiten nächstens kommen,
Wo kein Mensch mehr deutsch versteht?

Jedes Denkmal wird frisieret
Von der Philologen Hand,
Und so haben sie beschmieret
Erz und Stein und Tisch und Wand.

Wo man hinschaut, strotzt und glotzet
Eine Inschrift in Latein,
Die sich trotzig hat schmarotzet
In das Denkmal mit hinein.

Deutsches Volk, du musst studieren
Und vor allem das Latein,
Niemals kannst du sonst capieren
Was dein eigner Ruhm soll sein!

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Gedicht: Lapidarstil von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lapidarstil“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben kritisiert auf satirische Weise den übermäßigen Gebrauch der lateinischen Sprache in Inschriften und Denkmälern – besonders in einem kulturellen Kontext, in dem das Deutsche zunehmend verdrängt zu werden scheint. Der Titel verweist auf den „lapidaren Stil“, also die knappe, prägnante Sprache, wie sie typischerweise in Stein gemeißelten Inschriften verwendet wird – hier aber bewusst doppeldeutig aufgeladen.

Bereits in den ersten Strophen bringt das lyrische Ich seine Sorge zum Ausdruck, dass die deutsche Sprache „verdorben“ oder gar „ausgestorben“ sei. Diese zugespitzten Formulierungen sind Ausdruck eines patriotischen Sprachbewusstseins, das das Deutsche nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern als identitätsstiftendes Gut begreift. Der Vorwurf ist klar: Eine Entfremdung vom eigenen sprachlichen und kulturellen Erbe findet statt.

Besonders scharf wird die Kritik an der Praxis, Denkmäler – Symbole nationaler Erinnerung – mit lateinischen Inschriften zu versehen. Die „Philologenhand“ wird hier zur zerstörerischen Kraft, die deutsche Tradition durch klassische Bildung verdrängt. Das Verb „frisieret“ bringt diesen Eingriff ironisch auf den Punkt: Die Denkmäler werden nicht nur ergänzt, sondern im eigentlichen Sinne verunstaltet. Latein wird dabei als parasitär beschrieben, das sich „trotzig“ und „schmarotzend“ in die Erinnerungskultur einmischt.

In der letzten Strophe steigert sich der Vorwurf zu einer kulturpolitischen Anklage. Das deutsche Volk muss Latein lernen, um seinen eigenen Ruhm überhaupt verstehen zu können – eine paradoxe, fast absurde Situation. Die eigentliche Pointe liegt in der Umkehr: Statt dass die Bildung dem Volk dient, muss sich das Volk an die Bildungsideale einer fremden (klassischen) Sprache anpassen, um Zugang zur eigenen Geschichte zu erhalten.

Fallersleben verbindet in diesem Gedicht sprachliche Schärfe mit Ironie und Pathos. Es ist nicht nur eine Kritik an Bildungspraktiken, sondern eine grundsätzliche Stellungnahme für sprachliche Selbstbestimmung und gegen kulturelle Entfremdung. Die Sprache wird hier zum Spiegel nationaler Identität – und ihr Verlust zu einem kulturellen Alarmsignal.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.