Weil dann der Unholdt gäntzlich mir
Zum Greiffswald nicht will lenger leiden /
So bleibt dennoch mein Hertz alhier /
Undt wirdt sich nimmer von euch scheiden!
Wohin gedenckstu dann mein Sinn?
Ist doch Europa gantz voll Kriegen /
Es ist ja warlich kein Gewinn /
Von einem stets zum andern fliegen.
Zu Fretow wehr es gut genug /
Da Phebus mit den Töchtern sitzet /
Drüm wirt auch Fretow in das Buch
Der greisen Ewigkeit geschnitzet.
Da wehr ich fro undt ausser leit /
Da wolt ich lesen / tichten / schreiben /
Undt so den Nachrest meiner Zeit
Mit ohnverfälschter Trew vertreiben.
Itzt aber wil die Kriegerey
Zu Fretow keinen Menschen dulden /
Kein Ort ist von den Straffen frey /
Die ich undt du / undt der vorschulden.
Ich sag und klage für undt für /
Das manche lange Nacht verflossen /
Seit das ich auß der Frewden Thür
Bin gantz undt gahr hinauß gestoßen.
Was klag ich aber / weiß ich doch /
Das meiner Augen heisse Zähren
Nicht lindern dieses schwere Joch /
Noch meinem Elend mögen wehren.
Dan Trauren machet nur Verdruß;
Laß alle rauhe Winde wehen /
Laß sterben / wer da sterben muß /
Was wündscht man viel den Todt zusehen?
Dem Menschen ist gesetzt ein Ziel /
Das kan er auch nicht überschreiten /
Drüm ruff nur nicht den Todt zu viel /
Er schleicht dir nach auff allen seiten.
Was Odem bläst wirt nun geplagt /
Kein Mensche fült itzund genügen;
Man hört nicht mehr das einer fragt:
Wo mag der Weg nach Fretow liegen?
Nun gute Nacht / mein Vaterlandt!
Da weylandt große Lust zu schawen /
Ich muß mich nun Neptunus Handt /
Und Thetis saltzen Schoß vertrawen.
Gehab dich wohl / du werte Schar
Der Schwieger= und der Schwägerinnen!
Wer wirt nun mit euch übers Jahr
Ins Dannenholtz spatzieren künnen?
Wans euch nun geht / wie ihr begehrt /
Wen euwer Weinen wirt zu Lachen /
So denckt dan auch eins ohn beschwert
Was mag doch unsre Lybis machen?
Auff Ihren Abscheid auß Greiffswald (Gesang)
Mehr zu diesem Gedicht
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Auff Ihren Abscheid auß Greiffswald“ von Sibylla Schwarz ist ein ergreifender Abschiedsbrief, der die innere Zerrissenheit und die äußeren Umstände der Autorin widerspiegelt. Es offenbart die Trauer über den bevorstehenden Abschied von Greifswald, der nicht aus eigenem Willen, sondern durch die Kriegswirren und die daraus resultierende Unsicherheit erzwungen wird. Die Dichtung ist ein Ausdruck von Verlust, Sehnsucht und dem Versuch, sich mit dem unvermeidlichen Schicksal zu arrangieren.
Die ersten Strophen drücken die tiefe Verbundenheit mit Greifswald aus, während gleichzeitig die Unfähigkeit, dort zu bleiben, beklagt wird. Das „Hertz“ bleibt zurück, gebunden an die geliebte Stätte, während die Autorin selbst gezwungen ist, fortzugehen. Die Vorstellung von Fretow, einem Ort der Ruhe und des Friedens, dient als Kontrast zu den Kriegswirren, die Europa heimsuchen. Fretow wird als ein Ort der Muße, der Literatur und der unbeschwerten Lebensweise verklärt, ein Gegenentwurf zur Realität des Krieges, der jegliche Idylle zerstört. Die Sehnsucht nach diesem verlorenen Paradies ist in jeder Zeile spürbar.
Im Verlauf des Gedichts wandelt sich die Trauer in eine resignierte Akzeptanz. Die Erkenntnis, dass das Leid nicht durch Klagen gemildert werden kann, führt zu einer Haltung der Ergebung. Die Autorin scheint sich dem Lauf der Dinge zu fügen, akzeptiert das Schicksal und die Vergänglichkeit des Lebens. Die abschließenden Strophen sind geprägt von Abschiedsworten an das Vaterland, an die „werte Schar“ der Familie und Freunde. Hier manifestiert sich die tiefe Verbundenheit der Autorin mit ihrer Umgebung und ihre Sorge um das Wohl ihrer Lieben.
Der Einsatz von Metaphern und Bildern wie „Neptunus Handt“ und „Thetis saltzen Schoß“ verleiht dem Gedicht eine besondere Tiefe und Ausdruckskraft. Diese Vergleiche mit dem Meer symbolisieren die Ungewissheit und die Gefahr, die mit dem Abschied und der neuen Lebenssituation einhergehen. Die Verwendung von Fragen und die direkte Ansprache an die Leser erzeugt eine intime Atmosphäre und verstärkt das Gefühl der Verbundenheit und des gemeinsamen Leids.
Insgesamt ist Sibylla Schwarz‘ Gedicht ein bewegendes Zeugnis der Erfahrung von Krieg und Vertreibung. Es ist ein zutiefst persönliches Gedicht, das die universellen menschlichen Gefühle von Verlust, Sehnsucht, Resignation und Hoffnung in einer Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit auf eindrucksvolle Weise zum Ausdruck bringt. Es spiegelt die innere Zerrissenheit der Autorin wider, die zwischen ihrer Verbundenheit mit der Vergangenheit und der Notwendigkeit, sich dem Unvermeidlichen zu stellen, schwankt.
Weitere Informationen
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.
