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Aschermittwoch

Von

Nun fällt der tollen Narrenwelt
das bunte Kleid in Lumpen, –
und klirrend auf den Estrich schellt
der Freude voller Humpen.
Lautkrachend springt ins Schloß das Tor,
kein Lichtschein mehr am Fenster –
ein grauer Morgen kriecht empor,
der Morgen der Gespenster.

Da ist im tiefen Straßenstaub
ein stolzes Weib gestanden –
von ihrem Odem rauscht das Laub,
des Meeres Wogen branden.
Sie reckt sich in die Frühlingspracht
mit herrischer Gebärde:
mein ist, was blüht und weint und lacht –
mein ist die ganze Erde!

Was bimmelt ihr vom Kirchenturm
und predigt Reu und Buße?
Ihr seid das Sandkorn vor dem Sturm,
der Staub mir unterm Fuße.
Was schiert mich eurer Sünde Scham
und eurer Hölle Flammen?
Ich blas den ganzen Maskenkram
mit einem Hauch zusammen.

Mir gilt die Dirne unterm Tor,
das Hündlein in der Gossen
mehr als der schönste Damenflor
in euren Staatskarossen.
Und Blumen und Konfettischlacht?
Wie jäh verstummt die Harfe,
versprüht der Witz, verblaßt die Pracht,
löst meine Hand die Larve.

Mir gilt des Bettlers hohle Hand
und gramzerfressne Miene
mehr als der Fürstenhöfe Tand
und blutige Hermeline. –
Und tobt im Ost der Schwertertanz,
und saust das Blei, das rasche –
auf aller Kronen Faschingsglanz
streu ich die Handvoll Asche!

Ob Kirchen- oder Festungssturm,
sie wanken beid auf Erden
und werden einst vom Wirbelsturm
zu Staub zerblasen werden.
Und reißt der letzten Narretei
der bunte Rock in Fetzen,
dann soll die Menschheit, nackt und frei,
sich an die Tafel setzen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Aschermittwoch von Clara Müller-Jahnke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Aschermittwoch“ von Clara Müller-Jahnke ist eine kraftvolle Auseinandersetzung mit dem Übergang von Karneval und Exzess zur Askese und Vergänglichkeit, welche von einer tiefen Verachtung für leere Traditionen und irdischen Besitz durchzogen ist. Das Gedicht beginnt mit der Ernüchterung, die dem Karneval folgt. „Nun fällt der tollen Narrenwelt / das bunte Kleid in Lumpen“, heißt es einleitend, bevor der Blick auf eine Figur gelenkt wird, die als Verkörperung des Lebens, der Natur und möglicherweise auch der rebellischen Seele verstanden werden kann. Diese Figur, ein „stolzes Weib“, erhebt sich aus dem Staub und beansprucht die ganze Welt für sich.

Die zentrale Figur im Gedicht, das stolze Weib, stellt sich in direkten Gegensatz zu den etablierten Institutionen und Werten der Gesellschaft. Sie spottet der kirchlichen Bußpredigt und der Angst vor Hölle und Sünde. Ihr Anspruch auf die Welt ist ein Ausdruck von Selbstbehauptung und Ablehnung konventioneller Moralvorstellungen. Die Autorin verwendet eindrucksvolle Bilder, um diese Ablehnung zu verdeutlichen: „Ich blas den ganzen Maskenkram / mit einem Hauch zusammen.“ Das Weib schätzt die einfachen Dinge des Lebens und die Leidenden mehr als den Glanz und die Fassade der Reichen und Mächtigen. So werden die „Dirne unterm Tor“ und das „Hündlein in der Gossen“ den „Fürstenhöfen Tand“ vorgezogen.

Die Botschaft des Gedichts wird durch die wiederholte Betonung der Vergänglichkeit verstärkt. Sowohl die Freuden des Karnevals als auch die Macht der weltlichen Herrschaft werden als letztendlich hinfällig dargestellt. „Auf aller Kronen Faschingsglanz / streu ich die Handvoll Asche!“, heißt es programmatisch. Diese Asche symbolisiert das Ende aller irdischen Dinge und verweist auf die unvermeidliche Auflösung, die allen droht. Diese Perspektive schwingt in der Feststellung „ob Kirchen- oder Festungssturm, / sie wanken beid auf Erden“ mit, welche eine Gleichheit von religiöser und weltlicher Macht vor dem Hintergrund des Todes und der Zeit etabliert.

Das Gedicht endet mit einer hoffnungsvollen Vision einer zukünftigen Menschheit. Wenn die „Narretei“ ihr Ende findet, soll die Menschheit „nackt und frei“ an der „Tafel“ Platz nehmen. Diese Zeile deutet auf eine Erneuerung hin, ein neues Zeitalter, in dem die Menschen von den Zwängen der Tradition und der falschen Werte befreit sind. Die „Tafel“ könnte ein Symbol für Gleichheit, Freiheit und das Teilen von Erfahrungen sein, eine Vision, die durch die vorherige Demontage von Machtstrukturen ermöglicht wird. Das Gedicht ist somit eine Mahnung an die Vergänglichkeit und ein Aufruf zu radikaler Ehrlichkeit und Menschlichkeit.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.