Een Boot is noch buten!
„Ahoi! Klaas Nielsen und Peter Jehann!
Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind!
Ji hewt doch gesehn dem Klabautermann?
Gott Lob, dat wi wedder to Hus sind!“
Die Fischer riefen’s und stiessen ans Land
und zogen die Kiele bis hoch auf den Strand,
denn dumpf an rollten die Fluten;
Han Jochen aber rechnete nach
und schüttelte finster sein Haupt und sprach:
„Een Boot is noch buten!“
Und ernster keuchte die braune Schaar
dem Dorf zu über die Dünen,
schon grüssten von fern mit zerwehtem Haar
die Frau’n an den Gräbern der Hünen.
Und „Korl!“ hiess es und „Leiw Marie!“
„‚t is doch man schön, dat ji wedder hie!“
Dumpf an rollten die Fluten –
„Un Hinrich, min Hinrich? Wo is denn dee?!“
Und Jochen wies in die brüllende See:
„Een Boot is noch buten!“
Am Ufer dräute der Möwenstein,
drauf stand ein verrufnes Gemäuer,
dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein
und gossen Oel in das Feuer.
Das leuchtete weit in die Nacht hinaus
Und sollte rufen: O komm nach Haus!
Dumpf an rollen die Fluten –
Hier steht Dein Weib in Nacht und Wind
und jammert laut auf und küsst Dein Kind:
„Een Boot is noch buten!“
Doch die Nacht verrann und die See ward still
und die Sonne schien in die Flammen,
da schluchzte die Aermste: „As Gott will!“
und bewusstlos brach sie zusammen!
Sie trugen sie heim auf schmalem Brett,
dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett
und draussen plätschern die Fluten;
dort spielt ihr Kind, ihr „lütting Jehann“,
und lallt wie träumend dann und wann:
„Een Boot is noch buten!“
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Een Boot is noch buten!“ von Arno Holz thematisiert auf eindringliche Weise die Angst und Verzweiflung einer Dorfgemeinschaft, insbesondere einer Mutter, angesichts eines vermissten Bootes auf stürmischer See. Die wiederkehrende Zeile „Een Boot is noch buten!“ (Ein Boot ist noch draußen!) wird zum unheilvollen Refrain, der die Bedrohung durch das Meer und das tragische Schicksal der Seefahrer unterstreicht.
Das Gedicht ist in vier Strophen aufgebaut, die jeweils einen emotionalen Fortschritt zeigen: von der anfänglichen Erleichterung der heimkehrenden Fischer über die wachsende Sorge um den Vermissten bis hin zum Zusammenbruch der Mutter und dem kindlichen Nachhall der Tragödie. Diese Entwicklung wird durch das Spiel mit Kontrasten – etwa zwischen Heimkehr und Verlust, Licht und Dunkel, Leben und Tod – verstärkt.
Sprachlich arbeitet Holz mit niederdeutschen Elementen und direkter Rede, was dem Gedicht Authentizität und emotionale Nähe verleiht. Der Wechsel zwischen nüchterner Beschreibung und dramatischer Ausrufung intensiviert die Spannung. Besonders auffällig ist die Bildhaftigkeit des brennenden Feuers am Möwenstein, das als verzweifeltes Signal in die Nacht gesendet wird – ein Symbol der Hoffnung, das sich letztlich als vergeblich erweist.
Das Motiv der See als bedrohliche, unberechenbare Macht zieht sich durch das gesamte Gedicht. Die Fluten „rollen dumpf an“, die Nacht „brüllt“, und am Ende bleibt nur das gleichmäßige Plätschern, das die unerfüllte Hoffnung kontrastiert. Auch der Schluss ist besonders eindrücklich: Das kleine Kind wiederholt die zentrale Zeile „Een Boot is noch buten!“ – eine Mischung aus kindlicher Unschuld und der unbewussten Übernahme des Leids der Mutter.
Insgesamt zeigt das Gedicht eine tiefe Verbundenheit von Mensch und Natur, aber auch die Ohnmacht des Menschen gegenüber deren Gewalten. Es ist ein stilles Klagelied auf den Verlust, das durch seine Wiederholungen, den regionalen Ton und die starke Bildsprache eine berührende und eindringliche Wirkung entfaltet.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.