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Poesie

Von

Frägst du mich im Rätselspiele,
Wer die zarte lichte Fei,
Die sich drei Kleinoden gleiche
Und ein Strahl doch selber sei?
Ob ich’s rate? Ob ich fehle?
Liebchen, pfiffig war ich nie,
Doch in meiner tiefsten Seele
Hallt es: Das ist Poesie!

Jener Strahl der, Licht und Flamme,
Keiner Farbe zugetan,
Und doch, über alles gleitend
Tausend Farben zündet an,
Jedes Recht und keines Eigen. –
Die Kleinode nenn‘ ich dir:
Den Türkis, den Amethisten,
Und der Perle edle Zier.

Poesie gleicht dem Türkise,
Dessen frommes Auge bricht,
Wenn verborgner Säure Brodem
Nahte seinem reinen Licht;
Dessen Ursprung keiner kündet,
Der wie Himmelsgabe kam,
Und des Himmels milde Bläue
Sich zum milden Zeichen nahm.

Und sie gleicht dem Amethisten,
Der sein veilchenblau Gewand
Läßt zu schnödem Grau erblassen
An des Ungetreuen Hand;
Der, gemeinen Götzen frönend,
Sinkt zu niedren Steines Art,
Und nur einer Flamme dienend
Seinen edlen Glanz bewahrt;

Gleicht der Perle auch, der zarten,
Am Gesunden tauig klar,
Aber saugend, was da Krankes
In geheimsten Adern war;
Sahst du niemals ihre Schimmer
Grünlich, wie ein modernd Tuch?
Eine Perle bleibt es immer,
Aber die ein Siecher trug.

Und du lächelst meiner Lösung,
Flüsterst wie ein Widerhall:
Poesie gleicht dem Pokale
Aus venedischem Kristall;
Gift hinein – und schwirrend singt er
Schwanenliedes Melodie,
Dann in tausend Trümmer klirrend,
Und hin ist die Poesie!

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Gedicht: Poesie von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Poesie“ von Annette von Droste-Hülshoff ist eine kunstvolle Reflexion über die Natur der Poesie selbst, die sie durch die Metaphern von Edelsteinen und Perlen beschreibt. Zu Beginn stellt die Sprecherin eine Frage, in der sie die Poesie als ein „Rätselspiel“ präsentiert, bei dem sie die Lösung zwar kennt, aber nicht die präzise Antwort auf die Frage gibt. Es ist ein spielerischer und zugleich ernsthafter Zugang zur Bestimmung der Poesie – ein „Strahl“, der über alles gleitet, aber nicht einer festen Farbe oder Form zugeordnet werden kann.

Die Metaphern der „drei Kleinoden“ – Türkis, Amethyst und Perle – veranschaulichen verschiedene Facetten der Poesie. Der Türkis symbolisiert die Reinheit und den Ursprung der Poesie, die wie ein himmlisches Geschenk aus dem Unbekannten kommt. Die Unterscheidung zwischen dem reinen Türkis und den „verborgenen Säuren“ betont die Zerbrechlichkeit und die Gefahr, dass Poesie durch äußere Einflüsse verunreinigt oder zerstört werden kann. Der Amethyst hingegen steht für die edlen Eigenschaften der Poesie, die von „gemeinen Götzen“ beeinflusst werden kann, aber trotzdem in ihrem Glanz und ihrer Reinheit verbleibt, wenn sie „nur einer Flamme dienend“ bleibt.

Die Perle schließlich wird als das Symbol der Poesie beschrieben, die aus der Verbindung von reinem, gesundem Elementen und den dunklen, geheimen Aspekten des Lebens entsteht. Ihre „Schimmer“ sind nicht immer makellos, sondern können von einem „grünlichen“ Schleier überzogen sein, was auf die Verletzlichkeit und die innere Zerrissenheit der Poesie hinweist. Doch selbst in diesem Zustand bleibt die Perle, wie auch die Poesie, „immer“ bestehen.

Die abschließende Strophe zeigt einen scharfsinnigen und zugleich melancholischen Blick auf die Poesie: Sie wird mit einem „Pokale aus venedischem Kristall“ verglichen, der von „Gift“ erfüllt wird, wodurch eine Melodie erklingt, die dann in „tausend Trümmer“ zerbricht. Diese Bildsprache deutet darauf hin, dass Poesie trotz ihrer unvergänglichen Schönheit und Tiefe stets vergänglich ist. Ihr Glanz und ihre Wirkung können durch äußere Kräfte zerstört werden, und sie bleibt ein fragiles, flüchtiges Kunstwerk. Die Darstellung der Poesie als ein zerbrechliches Kunstwerk, das „hin ist“, zeigt ihre innere Spannung zwischen Schönheit und Zerbrechlichkeit.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.