Kinder am Ufer
O sieh doch! siehst du nicht die Blumenwolke
Da drüben in dem tiefsten Weiherkolke?
O! das ist schön! hätt‘ ich nur einen Stecken,
Schmalzweiße Kelch‘ mit dunkelrothen Flecken,
Und jede Glocke ist frisirt so fein
Wie unser wächsern Engelchen im Schrein.
Was meinst du, schneid‘ ich einen Haselstab,
Und wat‘ ein wenig in die Furth hinab?
Pah! Frösch‘ und Hechte können mich nicht schrecken. –
Allein, ob nicht vielleicht der Wassermann
Dort in den langen Kräutern hocken kann?
Ich geh, ich gehe schon – ich gehe nicht –
Mich dünke, ich sah am Grunde ein Gesicht –
Komm lass‘ uns lieber heim, die Sonne sticht!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Kinder am Ufer“ von Annette von Droste-Hülshoff beschreibt auf lebendige und bildhafte Weise die kindliche Neugier und das Spiel am Wasser, das von einer Mischung aus Fantasie, Unsicherheit und kindlichem Mut geprägt ist. Zu Beginn spricht die Erzählerin ein anderes Kind an und weist auf eine „Blumenwolke“ im „tiefsten Weiherkolke“ hin, was eine magische und fast traumhafte Atmosphäre erzeugt. Die Blumen, die „Schmalzweiße Kelch‘ mit dunkelrothen Flecken“ haben, werden detailreich beschrieben und in ihrer Feinheit und Schönheit mit einem „wächsern Engelchen“ verglichen, was eine gewisse Unschuld und Zerbrechlichkeit der Kindheit hervorruft.
Im weiteren Verlauf wird die kindliche Unbeschwertheit und Abenteuerlust deutlich, als die Kinder überlegen, einen „Haselstab“ zu schneiden und in den „Weiher“ hinabzuwaten. Ihre Unerschrockenheit wird dabei durch die Bemerkung, dass „Frösche und Hechte“ sie nicht erschrecken können, zum Ausdruck gebracht. Diese Leichtigkeit wird jedoch durch die plötzliche Erwähnung des „Wassermanns“ und das Gefühl, „ein Gesicht“ im Wasser zu sehen, von einer leichten Verunsicherung durchzogen. Die kindliche Fantasie mischt sich hier mit einem Hauch von Angst und dem Erleben des Unbekannten, was durch das zögerliche „Ich gehe, ich gehe nicht“ und den schnellen Entschluss, „lieber heimzugehen“, verstärkt wird.
Das Gedicht endet mit einem abrupten Wechsel von Abenteuerlust zu Zurückhaltung, als die Sonne „sticht“ und die Kinder sich schließlich vom Wasser zurückziehen. Die Unentschlossenheit und der Wechsel zwischen Furcht und Neugier spiegeln den inneren Konflikt wider, der viele Kindheitserfahrungen prägt – das Hineintasten in unbekannte Welten, das von Fantasie und einer gewissen Furcht begleitet wird.
Droste-Hülshoff fängt hier meisterhaft die Unschuld und die gleichzeitig vorhandene Ängstlichkeit von Kindern ein. Die Bildsprache ist lebendig und versinnbildlicht die kindliche Wahrnehmung der Welt, die von einer Mischung aus Staunen und Ängsten geprägt ist. Dabei wird die Grenze zwischen der kindlichen Vorstellungskraft und der Realität auf poetische Weise verwischt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.