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Im Grase

Von

Süße Ruh, süßer Taumel im Gras,
Von des Krautes Arome umhaucht,
Tiefe Flut, tief tief trunkne Flut,
Wenn die Wolk am Azure verraucht,
Wenn aufs müde, schwimmende Haupt
Süßes Lachen gaukelt herab,
Liebe Stimme säuselt und träuft
Wie die Lindenblüt auf ein Grab.

Wenn im Busen die Toten dann,
Jede Leiche sich streckt und regt,
Leise, leise den Odem zieht,
Die geschlossne Wimper bewegt,
Tote Lieb, tote Lust, tote Zeit,
All die Schätze, im Schutt verwühlt,
Sich berühren mit schüchternem Klang
Gleich den Glöckchen, vom Winde umspielt.

Stunden, flüchtiger ihr als der Kuß
Eines Strahls auf der trauernden See,
Als des ziehenden Vogels Lied,
Das mir nieder perlt aus der Höh,
Als des schillernden Käfers Blitz,
Wenn den Sonnenpfad er durcheilt,
Als der heiße Druck einer Hand,
Die zum letzten Male verweilt.

Dennoch, Himmel, immer mir nur
Dieses eine mir: für das Lied
Jedes freien Vogels im Blau
Eine Seele, die mit ihm zieht,
Nur für jeden kärglichen Strahl
Meinen farbig schillernden Saum,
Jeder warmen Hand meinen Druck
Und für jedes Glück meinen Traum.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Im Grase von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Im Grase“ von Annette von Droste-Hülshoff vermittelt eine Atmosphäre von nostalgischer Sehnsucht und meditativer Ruhe, in der das Gras und die Natur als Symbole für eine tiefe, fast jenseitige Verbindung mit der Welt und mit dem Verborgenen des Lebens dienen. Die Beschreibung des Grases und des Taumels im ersten Abschnitt vermittelt ein Bild des stillen Glücks und der Harmonie mit der Natur. Die „süße Ruh“ und der „süße Taumel“ suggerieren einen Zustand der Geborgenheit, in dem der Mensch in eine tranceartige, fast übernatürliche Verbindung mit der Umgebung eintritt. Der Duft des Grases und die „tiefe Flut“ verstärken das Gefühl von Verzückung und Entgrenzung.

Im zweiten Teil des Gedichts schwenkt die Sprecherin zu einem dunkleren, fast unheimlichen Bild, das die Grenze zwischen Leben und Tod berührt. Die Toten „strecken und regeln sich“ und „bewegen die Wimper“, was die Vorstellung von einem unruhigen, aber dennoch zarten Zustand zwischen Leben und Tod evoziert. Die Metapher der „toten Liebe“ und der „toten Lust“ verweist auf die Vergänglichkeit und das Vergehen der Gefühle, aber auch auf das ewige Kreisen und das Verweilen in den Erinnerungsschätzen, die im „Schutt verwühlt“ sind. Die Verbindung zwischen den Toten und den lebenden, flimmernden Klängen, die durch die Luft wehen, unterstreicht die Tiefe und die Komplexität der menschlichen Erfahrungen und der Erinnerung.

Die Beschreibung der Stunden als flüchtig, „flüchtiger als der Kuss eines Strahls“, verstärkt das Gefühl von Vergänglichkeit und der Fragilität des Lebens. Die Bilder des „ziehenden Vogels“, des „schillernden Käfers“ und des „heißen Drucks einer Hand“ erinnern an den fließenden und unwiederbringlichen Charakter der Zeit, die in all ihren Formen schnell entgleitet. Diese flüchtigen Momente des Glücks und der Berührung hinterlassen jedoch einen bleibenden Eindruck in der Seele.

Das Gedicht endet mit einer stillen Bitte um eine Verbindung zu allen schönen und flüchtigen Aspekten des Lebens. Die Sprecherin wünscht sich für jedes Naturerlebnis und jedes Gefühl eine tiefere, untrennbare Verbindung. Für den „freien Vogel“ im Blau möchte sie eine „Seele, die mit ihm zieht“, und für jede „warme Hand“ ihren „Druck“. Diese letzten Zeilen verdeutlichen den Wunsch nach einem intensiven Erleben und einem vollständigen Eintauchen in das Leben, das trotz seiner Vergänglichkeit als kostbar und unendlich geliebt empfunden wird. Das Gedicht schließt damit den Kreis zwischen der tiefen Ruhe in der Natur und der Sehnsucht nach einer Verbindung mit allen Aspekten des Lebens, die in ihren flimmernden Momenten bestehen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.