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Grüße

Von

Steigt mir in diesem fremden Lande
Die altbekannte Nacht empor,
Klatscht es wie Hufesschlag vom Strande,
Rollt sich die Dämmerung hervor
Gleich Staubeswolken mir entgegen
Von meinem lieben starken Nord,
Und fühl‘ ich meine Locken regen
Der Luft geheimnisvolles Wort:

Dann ist es mir, als hör‘ ich reiten
Und klirren und entgegenziehn
Mein Vaterland von allen Seiten,
Und seine Küsse fühl‘ ich glühn;
Dann wird des Windes leises Munkeln
Mir zu verworrnen Stimmen bald,
Und jede schwache Form im Dunkeln
Zur tiefvertrautesten Gestalt.

Und meine Arme muß ich strecken,
Muß Küsse, Küsse hauchen aus,
Wie sie die Leiber könnten wecken,
Die modernden im grünen Haus;
Muß jeden Waldeswipfel grüßen
Und jede Heid‘ und jeden Bach,
Und alle Tropfen, die da fließen,
Und jedes Hälmchen, das noch wach.

Du Vaterhaus mit deinen Türmen,
Vom stillen Weiher eingewiegt,
Wo ich in meines Lebens Stürmen
So oft erlegen und gesiegt, –
Ihr breiten laubgewölbten Hallen,
Die jung und fröhlich mich gesehn,
Wo ewig meine Seufzer wallen
Und meines Fußes Spuren stehn!

Du feuchter Wind von meinen Heiden,
Der wie verschämte Klage weint, –
Du Sonnenstrahl, der so bescheiden
Auf ihre Kräuter niederscheint, –
Ihr Gleise, die mich fortgetragen,
Ihr Augen, die mir nachgeblinkt,
Ihr Herzen, die mir nachgeschlagen,
Ihr Hände, die mir nachgewinkt!

Und Grüße, Grüße, Dach, wo nimmer
Die treuste Seele mein vergißt
Und jetzt bei ihres Lämpchens Schimmer
Für mich den Abendsegen liest,
Wo bei des Hahnes erstem Krähen
Sie matt die graue Wimper streicht
Und einmal noch vor Schlafengehen
An mein verlaßnes Lager schleicht!

Ich möcht‘ euch alle an mich schließen,
Ich fühl‘ euch alle um mich her,
Ich möchte mich in euch ergießen
Gleich siechem Bache in das Meer;
O wüßtet ihr, wie krankgerötet,
Wie fieberhaft ein Äther brennt,
Wo keine Seele für uns betet
Und keiner unsre Toten kennt!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Grüße von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Grüße“ von Annette von Droste-Hülshoff beschreibt die tiefe Sehnsucht der Sprecherin nach ihrer Heimat, die sich in einer intensiven Rückbesinnung auf ihre Kindheit und ihre Herkunft äußert. Es beginnt mit der Ankunft der Nacht, die in einem fremden Land wie eine vertraute, aber auch melancholische Erinnerung aufsteigt. Das Bild der Dämmerung, die sich wie Staubwolken zu ihr legt, ruft die Atmosphäre der Heimat hervor und weckt die Gefühle von Geborgenheit und Verbundenheit.

Im weiteren Verlauf beschreibt die Sprecherin, wie sie von den Erinnerungen an ihr Vaterland „umzogen“ wird. Der Wind und die Geräusche, die sie umgeben, erscheinen ihr als Botschaften und vertraute Klänge aus der Heimat. In einem Zustand der Sehnsucht und des Trauerns empfindet sie jede Form und jedes Naturereignis als eine Rückkehr zu ihrer verlorenen Heimat. Das „Munkeln“ des Windes wird für sie zu Stimmen aus der Vergangenheit, die Erinnerungen an ihre Familie, das Heimatdorf und die Natur wieder aufleben lassen.

Die Sprache des Gedichts ist von einer zarten, fast überirdischen Qualität, die die Sehnsucht der Sprecherin noch verstärkt. Sie streckt ihre Arme aus, als wolle sie die Natur und die Menschen, die sie zurücklassen musste, wieder umarmen. Ihre Küsse sollen die Toten erwecken, die in der Heimat ruhen, und jeder einzelne Teil der Natur wird in dieser geistigen Verbindung geehrt und gegrüßt. Diese Form der Erinnerung und der Verehrung vermittelt ein starkes Gefühl der Nähe und der Zugehörigkeit zu einem Ort, der für sie untrennbar mit der eigenen Identität verbunden ist.

Die letzten Strophen des Gedichts steigern sich zu einer klagenden Bitte um Nähe, die beinahe körperliche Züge annimmt. Der Wunsch, sich in das Heimatland zu ergießen, wie ein Bach ins Meer, verdeutlicht die Entfremdung, die die Sprecherin fühlt. Sie sieht sich von einer Welt umgeben, in der keine Verbindung mehr zu ihren Toten und ihrer Heimat besteht, was ihre Verzweiflung und das Gefühl der Einsamkeit verstärkt. In dieser Überlagerung von Erinnerungen und Verlust wird das Gedicht zu einem tief emotionalen Ausdruck von Heimatsehnsucht und der Erfahrung von Entfremdung in der Fremde.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.