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Die Taxuswand

Von

Ich stehe gern vor dir,
Du Fläche schwarz und rauh,
Du schartiges Visier
Vor meines Liebsten Brau,
Gern mag ich vor dir stehen,
Wie vor grundiertem Tuch,
Und drüber gleiten sehen
Den bleichen Krönungszug;

Als mein die Krone hier,
Von Händen die nun kalt;
Als man gesungen mir
In Weisen die nun alt;
Vorhang am Heiligtume,
Mein Paradiesestor,
Dahinter alles Blume,
Und alles Dorn davor.

Denn jenseits weiß ich sie,
Die grüne Gartenbank,
Wo ich das Leben früh
Mit glühen Lippen trank.
Als mich mein Haar umwallte
Noch golden wie ein Strahl,
Als noch mein Ruf erschallte,
Ein Hornstoß, durch das Tal.

Das zarte Efeureis,
So Liebe pflegte dort,
Sechs Schritte, – und ich weiß,
Ich weiß dann, daß es fort.
So will ich immer schleichen
Nur an dein dunkles Tuch,
Und achtzehn Jahre streichen
Aus meinem Lebensbuch

Du starrtest damals schon
So düster treu wie heut,
Du, unsrer Liebe Thron
Und Wächter manche Zeit;
Man sagt daß Schlaf, ein schlimmer,
Dir aus den Nadeln raucht, –
Ach, wacher war ich nimmer,
Als rings von dir umhaucht!

Nun aber bin ich matt,
Und möcht‘ an deinem Saum
Vergleiten, wie ein Blatt
Geweht vom nächsten Baum;
Du lockst mich wie ein Hafen,
Wo alle Stürme stumm,
O, schlafen möcht‘ ich, schlafen,
Bis meine Zeit herum!

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Gedicht: Die Taxuswand von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Taxuswand“ von Annette von Droste-Hülshoff ist eine tief melancholische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, dem Verlust und dem Wunsch nach Erlösung. Die Sprecherin stellt eine Verbindung zwischen einer schwarzen Taxuswand und der Erinnerung an vergangene Zeiten her, die in der Darstellung eines „Krönungszugs“ und der „grünen Gartenbank“ symbolisiert wird. Die Taxuswand erscheint als ein unüberwindbares, aber auch schützendes Element, das die Grenze zwischen der lebendigen Vergangenheit und der Gegenwart bildet, die von Vergänglichkeit und Rückschau geprägt ist.

Die Sprecherin verweilt in der Erinnerung an ihre Jugend, als sie noch voller Leben und Leidenschaft war. Die Bilder von „goldenem Haar“ und einem „Hornstoß“ durch das Tal verdeutlichen eine Zeit voller Hoffnung und unbeschwerter Freude. Doch im Kontrast dazu wird die Gegenwart von einer ständigen Konfrontation mit der Dunkelheit und dem Unvermeidlichen geprägt. Die „Taxuswand“ stellt dabei eine trennende, zugleich schützende Grenze dar, hinter der „alles Blume“ ist, aber „alles Dorn davor“ – eine ambivalente Metapher für das Leben, das sowohl Schönes als auch Schmerz umfasst.

Das Gedicht ist stark von der Symbolik des Schlafes und der Sehnsucht nach Ruhe geprägt. Die Sprecherin beschreibt sich als „matt“ und von der Müdigkeit gezeichnet, was auf eine spirituelle und emotionale Erschöpfung hinweist. Die Taxuswand wird hier zum Ort der Erholung, einem „Hafen“, der sie von den Stürmen des Lebens befreien könnte. Es ist eine tiefe Sehnsucht nach einer Art von endgültiger Ruhe, die das Ende der leidvollen Suche nach Antworten und die Erlösung von der physischen und seelischen Anspannung darstellt.

Die wiederholte Anrufung der Taxuswand als ständigen Begleiter und Wächter ihrer Erinnerung zeigt, wie sehr die Vergangenheit mit der Gegenwart verwoben ist. Der Gedichtsträger fühlt sich von den „Nadeln“ des Taxus, die den Schlaf bringen sollen, umhüllt und gleichzeitig gefangen. Diese „Wächterin“ der Erinnerung steht zwischen Leben und Tod, zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem. Die Haltung der Sprecherin am Ende des Gedichts – das Verlangen, zu schlafen und sich dem Endgültigen hinzugeben – macht das Gedicht zu einem bewegenden Zeugnis von Melancholie und der Sehnsucht nach einer letzten, friedlichen Ruhe.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.