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Der Todesengel

Von

’s gibt eine Sage, daß wenn plötzlich matt
Unheimlich Schaudern einen übergleite,
Daß dann ob seiner künft’gen Grabesstatt
Der Todesengel schreite.

Ich hörte sie, und malte mir ein Bild
Mit Trauerlocken, mondbeglänzter Stirne,
So schaurig schön, wie’s wohl zuweilen quillt
Im schwimmenden Gehirne.

In seiner Hand sah ich den Ebenstab
Mit leisem Strich des Bettes Lage messen,
– So weit das Haupt – so weit der Fuß – hinab!
Verschüttet und vergessen!

Mich graute, doch ich sprach dem Grauen Hohn,
Ich hielt das Bild in Reimes Netz gefangen,
Und frevelnd wagt‘ ich aus der Totenkron‘
Ein Lorbeerblatt zu langen.

O, manche Stunde denk‘ ich jetzt daran,
Fühl‘ ich mein Blut so matt und stockend schleichen,
Schaut aus dem Spiegel mich ein Antlitz an –
Ich mag es nicht vergleichen; –

Als ich zuerst dich auf dem Friedhof fand,
Tiefsinnig um die Monumente streifend,
Den schwarzen Ebenstab in deiner Hand
Entlang die Hügel schleifend;

Als du das Auge hobst, so scharf und nah,
Ein leises Schaudern plötzlich mich befangen,
O wohl, wohl ist der Todesengel da
Über mein Grab gegangen!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Todesengel von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Todesengel“ von Annette von Droste-Hülshoff befasst sich mit der Idee des Todes und der damit verbundenen Dunkelheit, die das Leben überschattet. Zu Beginn wird eine Sage erwähnt, dass der Todesengel den Menschen mit einem unheimlichen Schaudern begegnet, was den bevorstehenden Tod signalisiert. Diese Vorstellung von einem Engel, der den Tod bringt, wird zu einem zentralen Motiv im Gedicht und in der Vorstellung der Dichterin, die sich ein Bild dieses Engels mit melancholischer Schönheit erschafft.

Das Bild des Todesengels ist in der ersten Strophe düster und zugleich faszinierend. Der Engel wird als eine fast ätherische Gestalt beschrieben, die mit einem „Ebenstab“ die Lage des Grabes misst – eine kalte, unaufhaltsame Präzision, die den Tod als unabwendbar und vorbestimmt erscheinen lässt. Der „Ebenstab“ als Symbol für den Tod unterstreicht die Vorstellung, dass der Tod alles bemisst und festlegt, wobei die „Verschüttetheit und Vergessenheit“ das Verblassen des Lebens und der Erinnerung widerspiegeln.

In der weiteren Entwicklung des Gedichts wird die Begegnung mit dem Todesengel persönlich. Die Sprecherin fühlt eine tiefe Unruhe und Grauen, kann sich aber nicht von der Faszination des Gedankens lösen, sich selbst als Teil dieser tödlichen Vision zu sehen. Es ist ein dichterisches Spiel mit der Vorstellung von Leben und Tod, bei dem der Sprecher anfangs „Hohn“ über das Grauen spricht, später jedoch eine tiefere, unheimlichere Wahrheit in sich erkennt. Die Verwendung von „Lorbeerblatt“ als Symbol für Ruhm oder Leben wird hier durch die „Totenkron‘“ in einen gewagten Kontrast gesetzt.

Das Gedicht endet mit einer persönlichen, beinahe prophetischen Vision, als die Sprecherin den Todesengel tatsächlich „findet“, als sie ihn mit dem „schwarzen Ebenstab“ über das Friedhofsgelände schreiten sieht. Das „leise Schaudern“ und das Gefühl des Unbehagens verstärken die Überzeugung, dass der Tod unausweichlich ist und den Sprecherin schon im Blick hat. Diese Begegnung verdeutlicht die gruselige Nähe des Todes und die scharfe Einsicht, dass er schon „über mein Grab gegangen“ ist. Die dichte Atmosphäre des Gedichts lässt den Tod weniger als abstrakte Idee erscheinen, sondern als gegenwärtige, allgegenwärtige Macht, die das Leben unaufhaltsam begleitet.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.