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Das alte Schloß

Von

Auf der Burg haus‘ ich am Berge,
Unter mir der blaue See,
Höre nächtlich Koboldzwerge,
Täglich Adler aus der Höh‘,
Und die grauen Ahnenbilder
Sind mir Stubenkameraden,
Wappentruh‘ und Eisenschilder
Sofa mir und Kleiderladen.

Schreit‘ ich über die Terrasse
Wie ein Geist am Runenstein,
Sehe unter mir die blasse
Alte Stadt im Mondenschein,
Und am Walle pfeift es weidlich,
– Sind es Käuze oder Knaben? –
Ist mir selber oft nicht deutlich,
Ob ich lebend, ob begraben!

Mir genüber gähnt die Halle,
Grauen Tores, hohl und lang,
Drin mit wunderlichem Schalle
O Langsam dröhnt ein schwerer Gang;
Mir zur Seite Riegelzüge,
Ha, ich öffne, laß die Lampe
Scheinen auf der Wendelstiege
Lose modergrüne Rampe,

Die mich lockt wie ein Verhängnis,
Zu dem unbekannten Grund;
Ob ein Brunnen? ob Gefängnis?
Keinem Lebenden ist’s kund;
Denn zerfallen sind die Stufen,
Und der Steinwurf hat nicht Bahn,
Doch als ich hinab gerufen,
Donnert’s fort wie ein Orkan.

Ja, wird mir nicht baldigst fade
Dieses Schlosses Romantik,
In den Trümmern, ohne Gnade,
Brech‘ ich Glieder und Genick;
Denn, wie trotzig sich die Düne
Mag am flachen Strande heben,
Fühl‘ ich stark mich wie ein Hüne,
Von Zerfallendem umgeben.

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Gedicht: Das alte Schloß von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das alte Schloß“ von Annette von Droste-Hülshoff thematisiert die düstere, mystische Atmosphäre einer alten Burg, die das lyrische Ich zugleich fasziniert und bedrückt. Die Burg wirkt wie ein Ort außerhalb der normalen Welt, eine Zwischenwelt zwischen Leben und Tod, Realität und Spuk. Die Natur- und Geistermotive verstärken die unheimliche und melancholische Stimmung, in der sich das lyrische Ich selbst wie ein Schatten unter Schatten fühlt.

Die Bildsprache ist reich an Symbolen des Verfalls und der Vergänglichkeit: Ahnenbilder, Waffen, modrige Treppen und geheimnisvolle Gänge erzeugen eine Atmosphäre des Morbiden. Das lyrische Ich beschreibt seine Umgebung fast wie ein Gefangener, der sich mit dem „Sofa“ aus Wappentruhen arrangiert hat und von der „losen modergrünen Rampe“ ins Ungewisse gelockt wird. Der Kontrast zwischen der eigenen Lebendigkeit und dem Zerfall der Burg unterstreicht das Gefühl einer existenziellen Unsicherheit.

Besonders auffällig ist die Unsicherheit des lyrischen Ichs über den eigenen Zustand – es weiß nicht, ob es „lebend“ oder „begraben“ ist. Dieses Motiv der Schwelle zwischen Leben und Tod wird von den nächtlichen Geräuschen, den Geistern und dem Hall alter Steine getragen. Die Burg wird so zu einem Symbol für das Unbewusste, für verborgene Ängste und das Unergründliche im Menschen selbst.

Am Ende des Gedichts schlägt die anfängliche Faszination in eine Art düstere Entschlossenheit um: Trotz der Gefahr und des drohenden körperlichen Zerbrechens fühlt sich das lyrische Ich „stark wie ein Hüne“. Diese Mischung aus Trotz, Neugier und Unheimlichkeit macht die Burg zu einem Spiegel der inneren Zerrissenheit – zwischen Anziehung und Bedrohung, zwischen Abenteuerlust und Todesnähe.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.