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Abschied von der Jugend

Von

Wie der zitternde Verbannte
Steht an seiner Heimat Grenzen,
Rückwärts er das Antlitz wendet,
Rückwärts seine Augen glänzen,
Winde die hinüberstreichen,
Vögel in der Luft beneidet,
Schaudernd vor der kleinen Scholle,
Die das Land vom Lande scheidet;

Wie die Gräber seiner Toten,
Seine Lebenden, die süßen,
Alle stehn am Horizonte,
Und er muß sie weinend grüßen;
Alle kleinen Liebesschätze,
Unerkannt und unempfunden,
Alle ihn wie Sünden brennen
Und wie ewig offne Wunden;

So an seiner Jugend Scheide
Steht ein Herz voll stolzer Träume,
Blickt in ihre Paradiese
Und der Zukunft öde Räume,
Seine Neigungen, verkümmert,
Seine Hoffnungen, begraben,
Alle stehn am Horizonte,
Wollen ihre Träne haben.

Und die Jahre die sich langsam,
Tückisch reihten aus Minuten,
Alle brechen auf im Herzen,
Alle nun wie Wunden bluten;
Mit der armen kargen Habe,
Aus so reichem Schacht erbeutet,
Mutlos, ein gebrochner Wandrer,
In das fremde Land er schreitet.

Und doch ist des Sommers Garbe
Nicht geringer als die Blüten,
Und nur in der feuchten Scholle
Kann der frische Keim sich hüten;
Über Fels und öde Flächen
Muß der Strom, daß er sich breite,
Und es segnet Gottes Rechte
Übermorgen so wie heute.

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Gedicht: Abschied von der Jugend von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Abschied von der Jugend“ von Annette von Droste-Hülshoff thematisiert die schmerzliche Trennung von der unbeschwerten Lebensphase der Jugend und den Übergang ins Erwachsenenalter. Die erste Strophe vergleicht diesen Abschied mit dem Exil eines Verbann­ten, der voller Wehmut auf seine Heimat zurückblickt. Ebenso blickt das lyrische Ich auf die verlorene Jugend zurück, voller Sehnsucht und Bedauern.

In den folgenden Strophen verstärkt sich der Schmerz: Die Erinnerungen an vergangene Hoffnungen und Träume werden zu offenen Wunden. Die Jugend erscheint im Rückblick als eine Zeit voller Möglichkeiten, die nun unerreichbar sind. Dabei wird die Zeit metaphorisch als eine tückische Kraft dargestellt, die scheinbar unmerklich vergeht, aber rückblickend doch tiefe Spuren hinterlässt. Der Schritt in die Zukunft wird als mutloser Gang in ein fremdes Land beschrieben, das leer und ungewiss erscheint.

Dennoch endet das Gedicht mit einer versöhnlichen Perspektive. Die letzte Strophe deutet an, dass das Reifen und Wachsen nicht umsonst ist: Die Ernte des Sommers ist nicht weniger wert als die Blüten des Frühlings. Ebenso braucht es feste, tief verwurzelte Grundlagen, damit Neues entstehen kann. Diese Einsicht lässt Hoffnung aufkeimen – auch wenn die Jugend vergangen ist, bleibt die Zukunft offen, und Gottes Segen gilt weiterhin. Damit vereint das Gedicht Melancholie und Zuversicht in einer nachdenklichen Betrachtung über das Vergehen der Zeit.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.