Annemarie
Deines Gartens armer Spatz
zählet dir zum Ruhme
jede ihm zur Winterzeit
hingestreute Krume.
Und die Blumen unter
sind des Glaubens mächtig,
dass so Vieh– als Menschenvolk
völlig niederträchtig.
Nur von dir erwarten sie
jede seltne Güte,
weil du deine Rose nicht
brachtest, als sie blühte.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Annemarie“ von Otto Erich Hartleben zeichnet ein subtiles Portrait der Adressatin, indem es durch die Beobachtung der Natur deren Wesen erhellt. Es ist kein direktes Loblied, sondern eine indirekte Huldigung, die die Reaktionen eines Spatzen und der Blumen in Annemaries Garten als Maßstab für ihre Qualitäten heranzieht.
Der Spatz, Symbol für Dankbarkeit und Bescheidenheit, wird durch die Formulierung „zählet dir zum Ruhme“ zu einem wichtigen Gradmesser für Annemaries Großzügigkeit. Die Winterzeit, die Notzeit für den kleinen Vogel, verdeutlicht, dass Annemarie auch in schwierigen Umständen Gutes tut. Die „hingestreute Krume“ wird dadurch zu einer Geste von Bedeutung, die mehr als nur die physische Not lindert. Die Blumen hingegen, deren Reaktion im zweiten Teil geschildert wird, scheinen die Welt in Schwarz und Weiß zu sehen.
Die Blumen, „des Glaubens mächtig“, werden durch das negative Attribut „niederträchtig“ in ihrer Weltanschauung kritisiert. Sie scheinen eine generelle Abneigung gegen das „Vieh– als Menschenvolk“ zu hegen. Dies kontrastiert mit Annemaries Verhalten, das als Gegengewicht und Hoffnungsschimmer in dieser pessimistischen Sichtweise fungiert. Die Blumen erwarten ihre „seltne Güte“, was auf ein spezielles Verständnis ihrerseits hindeutet.
Der Schlusspunkt des Gedichts ist entscheidend: „weil du deine Rose nicht / brachtest, als sie blühte.“ Hier wird eine Unterlassung als Beleg für Annemaries wahre Wesensart angeführt. Die Rose, ein Symbol für Schönheit und Liebe, wurde Annemarie nicht gebracht, als sie ihre höchste Pracht entfaltete. Dies impliziert, dass Annemarie ihre Liebe und Aufmerksamkeit nicht an Bedingungen knüpft oder nach äußeren Schönheiten urteilt. Sie ist wahrscheinlich ein Mensch, der nicht nur großzügig, sondern auch frei von oberflächlichen Ansprüchen ist. Das Gedicht ist damit eine Hommage an eine Person, die Güte ohne Erwartung von Gegenleistung ausübt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.