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Die göttliche Vorsehung

Von

Sey mein Gesang, du, die von Ewigkeit
Mit Jubelschall die Morgensterne lobten,
Allsehende! die eher als die Zeit
Und eher war als Meer und Kriege tobten,
Durchdringe du mit deiner Wahrheit Licht
Den dicken Schley’r, vor die Vernunft gebreitet,
Und sey du selbst mein großer Unterricht,
Wenn sich mein Herz zu deinem Lob bereitet.

Dich läugnet frech der Unsinn und der Spott,
Der Wurm, den du aus seinem Nichts gezogen;
Die Lüste sind sein Himmel und sein Gott,
Und in ihm baut das Laster Ehrenbogen.
Sein düstrer Wahn der taumelt blind vorbey,
Und die Natur wird nicht von ihm gehöret,
Die doch von dir mit zeugendem Geschrey,
Mit Harmonie und tausend Zungen lehret.

Eh du die Welt voll Ordnung und voll Pracht
Hervorgeruft und Menschen werden ließest,
Noch ehe du den Staub beseelt gemacht
Und ihn den Rang nach Engeln nehmen hießest,
Da lagen schon Jahrhunderte vor dir.
Du sahst das Buch der Weltbegebenheiten,
Und nanntest schon die Menschen, die in ihr
Wie Götter seyn und auf die Thronen schreiten!

Eh die Natur in ihre Werkstatt ging,
Und Gold und Stein den Glanz zu Kronen machte;
Eh Purpur noch um eine Schulter hing,
Und eh‘ der Pomp den Herrschern Lasten brachte,
Da kanntest Du die Herrscher und die Last,
Und Völker, die sich vor dem Scepter beugen:
Dein war das Heft, das der Regente faßt,
Du gabst es ihm, um deine Macht zu zeigen.

Gemeßne Gränzen setztest du dem Meer;
Das Meer gehorcht, dich hört die stolze Welle,
Im Ungewitter brauste sie daher;
Sie stürzt zurück und über ihr wirds helle!
So setzest du dem Uebel in der Welt
Den Gränzstein hin. Es kennet ihn und schreitet
Nicht weiter fort. Sobald es dir gefällt,
Bricht Schwerdt und Spieß, und Ruhe wird verbreitet.

Dein Griffel schrieb des Schicksals Tafeln voll
Dem hellsten Wiz der Sterblichen verborgen,
Steht alles da, was hier geschehen soll;
Des Menschen Glück, Vergnügen, Noth und Sorgen,
Kein Ohngefähr macht unsre Fluren reich:
Kein Zufall bringt den Mangel und die Fülle,
Nicht Kunst, nicht Fleiß macht unsre Aecker weich;
Die Wolke thuts, und ihr befiehlts dein Wille.

Dich nennt der Blitz: der Donner nennt dich laut,
Und höret sich den Abgrund Antwort geben.
Die nasse Pracht, die aus der Wolke thaut,
Läßt deinen Ruhm am kleinsten Grase kleben;
Ein tausendfarbig Thal lacht dir zum Preis;
Der Vogel singt, daß er dein Loblied singe,
Die Schlosse rauscht; der Nordwind athmet Eis
Auf dein Gebot, Regiererin der Dinge!

Dich stille Gottheit prediget der Glanz,
Der über uns in Feuermeeren brennet,
Der weite Raum – du übersiehst ihn ganz,
Und du erfüllst den Himmel, der dich nennet.
Er nennet dich, du namenlose Macht!
Von dir erzählt der Morgen aller Tage:
Und still erscheint die strahlenlose Nacht
Daß sie dein Lob mit tausend Sternen sage.

Ich höre sie und denk an jene Nacht,
In der ich lag, da du mich werden hießest;
Auf deinen Wink ward ich hervorgebracht.
Ich lebe noch, weil du mich leben ließest.
Dein war der Tag, der meine Kindheit sah,
Dein waren sie, die andern die ich zählte,
Vor deinen Blick steht schon mein letzter da,
Den deine Wahl zum Sterbetage wählte.

Der Sterbliche, oft deiner Huld nicht werth,
Erhält von dir den Bissen, den er isset.
Du giebst das Glück, das jedem wiederfährt,
In einem Maaß, das deine Weisheit misset.
Dem giebst du viel des innerlichen Lichts;
Und jenem viel von Gütern dieser Erde;
Der häuft das Gold, und Tausenden gebrichts.
Doch keiner lebt, der nicht gesättigt werde.

Oft ist um mich der Sorgen Mitternacht
Wenn ich erwacht gewaltig hergezogen,
Und reich an Gram, hat dann mein Herz gedacht,
Du hättest mir nur Elend zugewogen.
Doch du befahlst, und schnell verflog die Noth,
Wie über uns die Wetterwolken fliehen,
Die nur geblitzt, und dann auf dein Gebot
Mit Guß und Schlag zu öden Wäldern ziehen.

Noch eh die Hand und diese Nerve ward,
Die sich itzt regt, wenn ich dein Lob beschreibe,
Da sahst du schon mein Glück und seine Art,
Wie wenig treu es meinen Tagen bleibe.
Du sahst den Weg, der mich nach deinem Rath.
Durch Krümmungen und Thäler sollte leiten.
Und eh mein Fuß in Labyrinthe trat,
Gabst du mir Muth, um herzhaft fortzuschreiten.

Unendliche! du gabst mir diesen Geist,
Und diese Ruh, mit der er ist durchdrungen,
Die stolz auf dich dem Gram die Stirne weist,
Und izt aus mir dein Loblied hat gesungen.
Du gabst mir dieses Herz, das deine Huld
In meinem Brodt und Wasser schmeckt und fühlet.
Und nie empört in mir die Ungeduld
Den Wunsch nach dem, wornach die Habsucht wühlet.

Mein Glück sey klein, mir ist es dennoch groß;
Es kömmt von dir, ich küß es deinetwegen.
Mir fällt vielleicht auch noch ein lieblich Loos;
Vielleicht ergießt aus deiner See von Seegen,
Die grundlos ist, sich noch ein Bach auf mich.
Doch hast du mir nichts weiter aufgehoben,
So gieb mir nur Zufriedenheit durch dich,
Und sey mein Lied auf Erden und dort oben.

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Gedicht: Die göttliche Vorsehung von Anna Louisa Karsch

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die göttliche Vorsehung“ von Anna Louisa Karsch ist ein eindrucksvolles religiöses Bekenntnis, das die allumfassende Macht, Weisheit und Güte Gottes preist. Die Sprecherin richtet sich in feierlichem Ton an eine göttliche Instanz, die sie als Ursprung, Lenkerin und Erhalterin allen Seins versteht. Im Zentrum steht dabei die Idee einer göttlichen Vorsehung, die alle Ereignisse des Lebens – Glück wie Leid – weise lenkt und dem menschlichen Verstand oft verborgen bleibt.

Inhaltlich entfaltet das Gedicht eine theologische Weltsicht, in der nichts dem Zufall überlassen ist. Naturphänomene, menschliches Schicksal und selbst der eigene Lebensweg sind durch Gottes Willen bestimmt. Besonders deutlich wird dies in den Strophen über Naturgewalten, das Wetter, den Reichtum der Erde und das menschliche Glück – alles ist Ausdruck göttlicher Ordnung. Auch persönliches Leid wird in diesem Licht relativiert: Es erscheint nicht als Willkür, sondern als Teil eines göttlichen Plans, der dem Menschen nicht immer verständlich ist, dem er sich aber mit Vertrauen fügen soll.

Karsch nutzt eine gehobene, bildreiche Sprache, die stark an die biblische Psalmen- und Hymnentradition erinnert. Wiederholungen, feierliche Anrufungen („Du sahst“, „Du gabst“, „Dein war“) und ein durchgängiger Lobton verleihen dem Gedicht eine liturgische, fast sakrale Wirkung. Durch Metaphern wie „der Griffel schrieb des Schicksals Tafeln voll“ oder „ein Bach von Seegen“ wird Gottes Wirken bildlich greifbar gemacht. Die Natur selbst wird zur Zeugin und Verkünderin der göttlichen Macht – der Donner, das kleinste Gras, der Vogelgesang: alles predigt die Allgegenwart Gottes.

Persönliche Erfahrungen der Sprecherin fließen immer wieder in das Lob ein: Erinnerungen an Kindheit, Not und Gottes Hilfe verleihen dem Text Authentizität. Besonders eindrücklich ist die Darstellung, wie sie Gottes Führung auch in schwierigen Lebensphasen erkennt – etwa in Zeiten der Sorge oder wenn sie sich in „Labyrinthen“ verirrt fühlt. Der Schluss ruft zur Zufriedenheit auf und stellt das Vertrauen auf göttliche Fürsorge über irdischen Besitz.

„Die göttliche Vorsehung“ ist somit ein zutiefst gläubiges Gedicht, das nicht nur Gottes Größe feiert, sondern auch Trost, Dankbarkeit und Zuversicht ausdrückt. Es betont die Demut vor dem Unverfügbaren und spricht zugleich von der inneren Stärke, die aus dem Glauben erwächst. Karsch verleiht in kunstvoller Sprache einer spirituellen Gewissheit Ausdruck, die über das Irdische hinausreicht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.