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An die Chartenspieler

Von

Mischt immer eure Blätter, spielet
Gedankenvoll, und hoffend fühlet
Die Freuden des Gewinnes ganz;
Mein Geist, zu stoisch und zu trocken,
Ließ nie die Charten sich verlocken,
Und hüpfte nie zu einem Tanz!

Zu steif den Fuß im Tact zu lenken,
Zu roh, beym Spiele was zu denken,
Blieb ich in beyden ungelehrt;
Ich kenne nicht der Blätter Nahmen,
Weiß nicht, was Buben sind und Damen,
Weiß nichts vom Blatt, dem Sieg gehört.

Nur Bücher hab ich liebgewonnen,
Darinn gelesen, nachgesonnen,
Selbst eins gemacht, so schlecht es war!
Nichts fragt ich da nach Spiel und Tänzen,
Ich las, wodurch sich Helden cränzen,
Und träumte Schlachten und Gefahr!

Ich ging, auf selbst gebauten Wällen,
Ließ sich mein Volk in Ordnung stellen
Und that, als wie ein General;
Warf Schanzen auf, schoß Ziegelstücke,
Zog schlechterdings mich nicht zurücke,
Sprach laut wenn ich den Sturm befahl!

War eine Vestung eingenommen,
Dann ließ ich meine Völker kommen
Drang tiefer ein in Feindes Land,
Marschirte listig hin und wieder
Hieb viele tausend Feinde nieder,
In allen Nesseln die ich fand.

Da lagen dann die kleinen Leichen,
Gefällt von meinen starken Streichen,
Bey tausenden gestreckt vor mir;
Stolz dacht ich mich als Ueberwinder
Ich war ein Kind, und wie die Kinder
Thun gar zu oft im Alter wir!

O meine Phantasie ist heftig,
Schon dazumahl war sie geschäftig,
Als ich noch meine Heerde trieb;
Itzt aber sieht sie andre Schlachten
Denkt die, die sich unsterblich machten,
Und den, der sich unsterblich schrieb!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: An die Chartenspieler von Anna Louisa Karsch

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An die Chartenspieler“ von Anna Louisa Karsch ist eine poetische Selbstaussage, die sich in kritischer und zugleich selbstironischer Weise mit geselligen Vergnügungen wie Kartenspiel und Tanz auseinandersetzt. Die Sprecherin grenzt sich bewusst von solchen Beschäftigungen ab und stellt stattdessen ihre eigene Welt der Fantasie, der Bücher und des inneren Erlebens als wertvoller und bedeutungsvoller dar.

Schon in der ersten Strophe wird die Distanz zu gesellschaftlichen Normen deutlich: Während andere Menschen beim Spiel hoffen, fiebern und Freude empfinden, bleibt der Geist der Sprecherin davon unberührt. Sie bezeichnet sich selbst als „stoisch und zu trocken“, unfähig, sich dem rhythmischen Takt eines Tanzes oder dem Spieltrieb hinzugeben. Diese Selbstdarstellung ist jedoch nicht nur nüchtern, sondern auch mit einem Hauch von Stolz auf die Andersartigkeit formuliert.

Statt Karten und Tänzen widmet sich das lyrische Ich den Büchern. Sie findet Freude im Lesen, Nachdenken und Schreiben – selbst wenn das eigene Werk als „schlecht“ bezeichnet wird. In dieser geistigen Welt entwirft sie heroische Szenarien, stellt sich als General vor, denkt sich Schlachten und Strategien aus. Diese kindliche Vorstellungskraft ist zugleich Spiel und Ernst: Ein kreatives Kriegsspiel, das deutlich macht, wie stark die Imagination der Sprecherin schon früh war.

Die letzte Strophe verbindet diese kindliche Fantasie mit dem erwachsenen Denken: Die früh erwachte Vorstellungskraft bleibt aktiv und richtet sich nun auf wahre, historische Helden und ihre literarische Unsterblichkeit. Damit wird ein Bogen geschlagen vom kindlichen Spiel zur künstlerischen Verarbeitung großer Taten. Der Kontrast zwischen trivialem Zeitvertreib und geistiger Auseinandersetzung mit Größe und Ruhm wird zur eigentlichen Aussage des Gedichts.

„An die Chartenspieler“ ist somit eine selbstbewusste und zugleich reflektierte Positionierung einer Frau, die sich als denkend, dichtend und anders empfindet. In einer Zeit, in der weibliches Schreiben noch wenig Raum hatte, schafft Anna Louisa Karsch mit diesem Gedicht ein poetisches Selbstporträt, das sowohl Distanz als auch Stärke, Ernsthaftigkeit und kindliche Spielfreude vereint.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.