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Kokain

Von

Wände
Tisch
Schatten und Katzen
Grüne Augen
Viele Augen
Millionenfache Augen
Das Weib
Nervöses zerflatterndes Begehren
Aufflackerndes Leben
Schwälende Lampe
Tanzender Schatten
Kleiner Schatten
Großer Schatten
Der Schatten
Oh – der Sprung über den Schatten
Er quält dieser Schatten
Er martert dieser Schatten
Er frißt mich dieser Schatten
Was will dieser Schatten
Kokain

Aufschrei
Tiere
Blut
Alkohol
Schmerzen
Viele Schmerzen
Und die Augen
Die Tiere
Die Mäuse
Das Licht
Dieser Schatten
Dieser schrecklich große schwarze Schatten.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Kokain von Anita Berber

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Kokain“ von Anita Berber ist ein intensives, expressionistisches Sprachbild, das den inneren Zustand einer vom Drogenrausch ergriffenen Person eindringlich und fragmentarisch darstellt. Der Text verzichtet auf klassische Struktur und Syntax, stattdessen reiht er assoziative Bilder und Worte in einer schnellen, fast atemlosen Abfolge aneinander. Der Fokus liegt auf der subjektiven Wahrnehmung unter dem Einfluss von Kokain – zwischen ekstatischer Übersteigerung, Halluzination und existenzieller Bedrohung.

Zentrales Motiv ist der „Schatten“, der mehrfach wiederholt und variiert wird: als „kleiner“, „großer“, „der Schatten“, bis hin zu einem „schrecklich großen schwarzen Schatten“. Er steht sinnbildlich für Angst, Verfolgung, das Unbewusste oder gar den Tod. Der Schatten erscheint zuerst als Teil eines Spiels aus Licht und Wahrnehmung („schwälende Lampe“, „tanzender Schatten“), entwickelt sich jedoch schnell zu einer bedrängenden, feindlichen Kraft, die das lyrische Ich quält, martert und zu verschlingen droht. In dieser Entwicklung spiegelt sich der psychische Verfall wider, den der Drogenrausch mit sich bringt.

Der Text erzeugt durch die Aneinanderreihung kurzer, stakkatoartiger Begriffe wie „Wände / Tisch / Schatten und Katzen“ eine beklemmende Atmosphäre. Die Vielzahl der „Augen“, die beobachtend und potenziell bedrohlich wirken, verstärken das Gefühl des Kontrollverlusts und der Paranoia. Tiere, insbesondere „Mäuse“, tauchen als Halluzinationen auf – ein häufiges Bild bei Kokainpsychosen – und verstärken das Bild des Wahns.

Die zweite Hälfte des Gedichts eskaliert in einem emotionalen und sprachlichen „Aufschrei“: Schmerz, Blut, Alkohol, verstärkte Wahrnehmung und wieder der übermächtige Schatten – all dies kulminiert in einem Bild völliger innerer Auflösung. Der Text endet ohne Auflösung oder Befreiung, sondern in der Wiederholung und Verstärkung des Schreckens.

„Kokain“ ist somit weniger ein erzählendes Gedicht als ein psychischer Zustandsbericht – eine Momentaufnahme des Drogenrausches, in der Sprache selbst an ihre Grenzen stößt. Anita Berber gelingt es, die innere Zerrissenheit, Ekstase und Hölle eines rauschhaften Erlebens auf rohe, ungeschönte Weise auszudrücken – ganz im Sinne des expressionistischen Selbstentäußerungsideals.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.