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Abend

Von

Der schnelle Tag ist hin, die Nacht schwingt ihre Fahn
Und führt die Sterne auf. Der Menschen müde Scharen
Verlassen Feld und Werck; wo Thir und Vögel müde waren.
Traur’t itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit verthan!

Der Port naht mehr und mehr sich zu der Glider Kahn.
Gleichwie dies Licht verfiel, so wird in wenig Jahren
Ich, du und was man hat und was man sieht, hinfahren.
Dies Leben kömmt mir vor als eine Renne-Bahn.

Laß höchster Gott mich doch nicht auff dem Lauffplatz gleiten,
Laß mich nicht Ach, nicht Pracht, nicht Lust, nicht Angst verleiten,
Dein ewig heller Glantz sey vor und neben mir!

Laß, wenn der müde Leib entschläft, die Seele wachen,
Und wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen,
So reiß mich aus dem Thal der Finsternis zu dir

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Gedicht: Abend von Andreas Gryphius

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Abend“ von Andreas Gryphius ist eine barocke Meditation über die Vergänglichkeit des Lebens und die Hoffnung auf göttliche Erlösung. Die Abendstimmung dient als Sinnbild für das Vergehen der Zeit und verweist auf die Endlichkeit des menschlichen Daseins. In den ersten Versen wird das Ende des Tages beschrieben: Die Nacht bricht herein, Sterne erscheinen, und Mensch wie Tier ziehen sich zurück. Das lyrische Ich blickt mit Melancholie auf die verstrichene Zeit – „Wie ist die Zeit verthan!“ –, eine Klage, die typisch für das barocke Vanitas-Motiv ist. Der Gedanke, dass alles, was existiert, unaufhaltsam vergeht, wird mit der Metapher vom Schiff („Glider Kahn“) verstärkt, das dem Hafen (dem Tod) immer näherkommt. Die zweite Hälfte des Gedichts wendet sich an Gott: Das lyrische Ich bittet um Schutz vor den Versuchungen der Welt und darum, auf dem „Lauffplatz“ des Lebens nicht zu straucheln. Die abschließenden Verse bringen die Hoffnung auf eine Erlösung im Jenseits zum Ausdruck: Wenn der letzte Tag naht, soll Gott die Seele aus der Dunkelheit in sein Licht führen. So verbindet das Gedicht die Erkenntnis der Vergänglichkeit mit der Sehnsucht nach göttlicher Gnade, wie es für die barocke Dichtung typisch ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.