Amor der Räuber
Die Unschuld saß in grüner Laube,
Sie hielt ein Täubchen in dem Schoß;
Und Amor kam: »Gib mir die Taube;
Ein Weilchen nur gib deine Taube«,
Die Unschuld ließ sie lächelnd los,
Doch hielt sie Täubchen an dem Band,
Das sich um Täubchens Flügel wand.
Doch kaum hat er die weiße Taube;
So schneidet er den Faden ab;
Und höhnisch lachend mit dem Raube
Entflieht der Räuber aus der Laube
Und nimmer kehrt der lose Knab.
Und als ihr Täubchen nimmer kam,
Ward sie dem Räuber ewig gram.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Amor der Räuber“ von Wilhelm Hauff entfaltet in sieben Versen eine kurze, aber prägnante Erzählung über die zerstörerische Natur der Liebe, dargestellt durch die Figur des Amor. Es beginnt mit einem idyllischen Bild der Unschuld, die in einer grünen Laube sitzt und ein Täubchen in ihrem Schoß hält. Dieses Bild der Ruhe und Unschuld wird durch die Ankunft Amors, des Liebesgottes, unterbrochen, der nach der Taube verlangt.
Die Unschuld gewährt Amor, dem Räuber, die Taube, doch behält sie sie, indem sie das Band an den Flügeln festhält. Dieser kleine Akt des Zögerns und der Kontrolle deutet bereits auf die Erfahrung der Unschuld hin, die durch die plötzliche Begegnung mit der Liebe getrübt wird. Doch Amor ist kein zurückhaltender Liebender; stattdessen schneidet er das Band, befreit die Taube und flieht mit ihr aus der Laube. Diese Handlung symbolisiert den Verlust der Unschuld und die Zerstörung der idyllischen Welt, die durch die Ankunft der Liebe ausgelöst wird.
Die letzte Strophe unterstreicht die bleibenden Folgen dieser Begegnung. Das Täubchen kehrt nie zurück, und die Unschuld wird dem Räuber, also Amor, „ewig gram“. Das ist ein Ausdruck des Schmerzes, der Trauer und der Enttäuschung, die durch den Verlust der Unschuld und die Erfahrung der Liebe entstehen. Die Verse weisen darauf hin, dass die Liebe, zumindest in ihrer frühen, ungestümen Form, zerstörerisch sein kann und bleibende Narben hinterlässt.
Hauffs Gedicht ist trotz seiner Kürze reich an Symbolik. Die Taube steht für Unschuld, Frieden und möglicherweise für die Zuneigung selbst. Die grüne Laube repräsentiert einen geschützten, unberührten Raum. Amor, der Räuber, ist ein Paradoxon, denn er ist der Gott der Liebe, wird aber als Dieb dargestellt. Die einfache Sprache und die klare Struktur des Gedichts verstärken seine Botschaft. Das Gedicht zeichnet ein düsteres Bild von Liebe als etwas, das die Unschuld raubt und das Herz mit Schmerz füllt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.