Am Feierabend
Hätt ich tausend
Arme zu rühren!
Könnt ich brausend
Die Räder führen!
Könnt ich wehen
Durch alle Haine!
Könnt ich drehen
Alle Steine!
Daß die schöne Müllerin
Merkte meinen treuen Sinn!
Ach, wie ist mein Arm so schwach!
Was ich hebe, was ich trage,
Was ich schneide, was ich schlage,
Jeder Knappe tut mir′s nach.
Und da sitz ich in der großen Runde,
In der stillen kühlen Feierstunde,
Und der Meister spricht zu allen:
Euer Werk hat mir gefallen;
Und das liebe Mädchen sagt
Allen eine gute Nacht.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Am Feierabend“ von Wilhelm Müller zeichnet ein Bild der unerwiderten Liebe und der Ohnmacht des Ich-Erzählers, der sich nach der Aufmerksamkeit der Müllerin sehnt. Die erste Strophe ist von einem energiegeladenen Wunsch nach Tatkraft und Macht geprägt. Der Sprecher wünscht sich, er hätte tausend Arme, um die Mühen des Alltags zu überwinden, die Räder zu treiben, durch die Haine zu sausen und Steine zu bewegen – alles, um die Aufmerksamkeit der Müllerin zu erregen. Dieser Wunsch nach übermenschlichen Kräften verdeutlicht die innige Sehnsucht nach Anerkennung und die Hoffnung, durch Leistung die Gunst des geliebten Mädchens zu gewinnen.
Im Gegensatz zu diesem großen Wunsch steht die bittere Realität der zweiten Strophe. Der Erzähler erkennt die eigene Schwäche und Bedeutungslosigkeit im Vergleich zu den anderen. Seine Arbeit wird von anderen problemlos bewältigt, und er findet sich in der großen Runde wieder, wo er von den gleichen Worten des Lobes wie alle anderen profitiert. Der Satz „Jeder Knappe tut mir’s nach“ unterstreicht die Austauschbarkeit des Erzählers und die fehlende Besonderheit seiner Arbeit.
Die Feierstunde, die eigentlich Entspannung bedeuten sollte, wird so zur Quelle der Enttäuschung. Der Meister, eine Autoritätsperson, lobt alle, und die Müllerin, das Objekt der Sehnsucht, wünscht allen eine gute Nacht. Der Erzähler erhält die gleiche Behandlung wie alle anderen, was seine Hoffnungen auf eine besondere Anerkennung zunichtemacht. Die kühle Stille der Feierstunde verstärkt das Gefühl der Isolation und der Unerfülltheit.
Das Gedicht ist ein eindringliches Porträt der unerwiderten Liebe und der Erfahrung, im Schatten der eigenen Sehnsüchte zu stehen. Die einfache Sprache und die klaren Bilder verstärken die Emotionen und machen das Gedicht für den Leser nachvollziehbar. Die kontrastreiche Gegenüberstellung von Wunsch und Realität, von Kraftphantasie und Ohnmacht, verleiht dem Gedicht seine besondere Intensität und Tragik. Es ist ein universelles Thema, das von der Ohnmacht und der Sehnsucht eines Individuums handelt, das sich nach Aufmerksamkeit und Liebe sehnt, aber durch seine eigenen Grenzen und die äußeren Umstände daran gehindert wird.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.