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Am 5. September

Von

An Ida.

Als dämmernd noch das Leben vor mir lag,
Mein Herz noch nichts errungen, nichts verloren,
Nicht ahnt′ ich da, daß mir an diesem Tag′
Mein bestes Kleinod ward zur Welt geboren!
Nicht ahnte ich, daß heut′ der hellste Stern
An meinem Horizonte anfgegangen,
Daß meines Wesens innerlichster Kern
Den vollen Abschluß heute erst empfangen.

Ich ahnt′ es nicht; erst jetzt erkenn′ ich′s ganz!
Nur Eines kann ich auch noch jetzt nicht fassen:
Daß deiner Liebe heller Stralenkranz
Auf meine Stirn′ sich mochte niederlassen.
Es heißt ja doch, daß nur um Gleich und Gleich
Die Bande sich wahrhaft′ger Freundschaft weben.
Du aber bist so reich, so überreich,
Und ich, – – was hab′ ich Arme dir zu geben?

Nichts als mich selbst! doch diese Gabe schafft
Dir Sorgen nur und immer neue Mühen!
Denn stützen mußt du mich mit deiner Kraft,
Dein böses altes Kind zum Guten ziehen.
Du mußt, bald ernst und streng, und bald gelind,
Hier rathen, trösten, strafen dort und wehren,
Und die Gedanken, die das Leben sind,
Den erdgebund′nen Geist erst denken lehren.

Tief schmerzlich überkommt mich′s manchesmal:
O daß ich früher, früher dich gefunden,
Als ungetrübt noch meines Auges Stral,
Und meine Brust noch rein von Schuld und Wunden!
Dann wäre nie des Samums glüher Hauch,
Vergiftend über mich hinweggegangen!
Ich gliche nicht dem blitzversengten Strauch,
Und könnte geben, statt nur zu empfangen!

Doch, hat voreinst nicht aus des Heilands Mund
Die schmerzenmüde Welt dieß Wort vernommen:
»Für Jene nicht, die kräftig und gesund,
Nein! für die Kranken ist der Arzt gekommen«?
Du treuer Arzt! so hast, als, wüst und wirr,
Das Fieber mich der Leidenschaft bezwungen,
Du mich gepflegt, und liebest nun in mir
Die Beute, die dem Tod du abgerungen!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Am 5. September von Betty Paoli

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Am 5. September“ von Betty Paoli ist eine tiefgründige Liebeserklärung und gleichzeitig eine Reflexion über die eigene Unzulänglichkeit und die erlösende Kraft der Freundschaft, gerichtet an eine Person namens Ida. Es feiert den Geburtstag der Freundin und die damit verbundene Erkenntnis, dass an diesem Tag etwas unschätzbares in ihr Leben trat. Das Gedicht ist in vier Strophen unterteilt, in denen sich Dankbarkeit, Selbstzweifel und die Anerkennung der unerschütterlichen Liebe Idas verbinden.

Die ersten beiden Strophen drücken die anfängliche Unwissenheit der Autorin über die Tragweite dieser Freundschaft aus. Der „hellste Stern“ am Horizont symbolisiert die Ankunft Idas und die Bereicherung des eigenen Lebens. Paoli betont, wie sehr sich ihr Leben durch die Freundschaft verändert hat. In den darauffolgenden Strophen wird jedoch die Selbstzweifel der Autorin offenbar. Sie hinterfragt, ob sie diese bedingungslose Liebe verdient habe, da sie sich ihrer eigenen „Armut“ und der immensen „Reichtum“ Idas bewusst ist. Sie fühlt sich der anderen Person unterlegen, fragt sich was sie ihr zu geben hat und ob die Freundschaft wirklich auf Gegenseitigkeit beruhen kann.

In den mittleren Strophen wird die Rolle Idas als Stütze und Wegweiserin verdeutlicht. Sie ist nicht nur Freundin, sondern auch „Arzt“, die die Autorin aufrichtet und sie ermutigt, sich zum Positiven zu verändern. Die Autorin erkennt, dass sie durch Ida sowohl Trost als auch Zurechtweisung erfährt. Dies deutet auf eine tiefe Vertrautheit und eine liebevolle Fürsorge hin, die weit über eine bloße Freundschaft hinausgeht.

Die letzten Strophen weisen auf das Thema der Erlösung und der bedingungslosen Liebe hin. Paoli drückt ihren Schmerz darüber aus, Ida nicht früher kennengelernt zu haben, und beklagt, dass sie „unrein“ in diese Freundschaft eintrat. Sie vergleicht sich mit einem vom Blitz versengten Strauch, was auf die Narben der Vergangenheit hinweist. Abschließend wird die Beziehung zu Ida jedoch als Heilung und Erlösung interpretiert, angelehnt an das biblische Gleichnis vom Arzt, der für die Kranken da ist. Ida liebt die Autorin trotz ihrer „Schuld und Wunden“ und hat sie aus dem „Fieber der Leidenschaft“ gerettet. Das Gedicht schließt mit der Anerkennung der transformierenden Kraft der Liebe und Freundschaft.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.