Unruhe
Warten zwischen vielen auf den Arzt . .
Zwischen weißen Blicken, Schmerzmusiken,
Fremder Bilder grinsenden Mimiken,
Den Gerüchen, dünner Wanduhr Pieken…
Aus den Ecken, Möbeln her starrt’s schwarz…
Und er sitzt noch… bald gefasst, bald schwank,
– Aber endlich – fort! – zu süßen Flüssen
Wieder fort! – verbergenden Genüssen –
Niemals wieder warten! – nichts mehr müssen!
– Und vielleicht ist er nun immer krank.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Unruhe“ von Alfred Wolfenstein beschreibt die innere Zerrissenheit und die quälende Erfahrung des Wartens, die sich in einem Arztzimmer abspielt. Die erste Strophe vermittelt eine Atmosphäre der Beklemmung und Überforderung, die durch die „weißen Blicke“ und „Schmerzmusiken“ verstärkt wird. Diese Bilder wecken den Eindruck einer sterilen, fast leb- und gefühllosen Umgebung, in der der Wartende sich von fremden Eindrücken und Geräuschen umgeben fühlt. Die „grinsenden Mimiken“ und „Gerüche“ erzeugen ein Gefühl der Entfremdung und der Sinnlosigkeit, als ob der Wartende nicht mehr mit seiner Umgebung in Verbindung steht, sondern von ihr überwältigt wird.
Das Warten, so wie es im Gedicht dargestellt wird, ist nicht nur ein physisches Verharren, sondern auch ein seelisches Leiden. Das „starrende Schwarz“ aus den Ecken und Möbeln symbolisiert das Unausgesprochene, die drückende Stille und das drohende Nichts. Es ist ein Zustand der Unruhe und der Unsicherheit, in dem sich der Wartende nicht nur mit seiner Krankheit, sondern auch mit der lähmenden Erwartung konfrontiert sieht. Die Zeit scheint stillzustehen, und jede Sekunde im Warten wird zu einer Qual.
In der zweiten Strophe kommt es zu einem scheinbaren Wendepunkt: Der Gedanke an die Flucht, das „fort“ zu den „süßen Flüssen“, steht für eine Sehnsucht nach Befreiung und Erleichterung. Der Wunsch, „nie wieder warten“ zu müssen und „nichts mehr müssen“ zu haben, spiegelt die Verzweiflung wider, die aus der drückenden Enge des Wartens entsteht. Der Gedanke an ein Ende des Wartens, an die Rückkehr zu einer Art von Genuss und Freiheit, klingt fast wie eine Flucht in die Vorstellung von Erlösung.
Doch das Gedicht endet mit einer ironischen Wendung: „Vielleicht ist er nun immer krank“. Diese Zeile bringt eine gewisse Tragik in den Kontext der Sehnsucht nach Befreiung. Der Wunsch nach einem Ende des Wartens und der Krankheit ist nicht einfach nur ein Akt der Heilung, sondern auch eine Reflexion darüber, dass die Krankheit und das Warten vielleicht Teil des Lebens geworden sind. Die Unruhe des Wartens bleibt, und der vermeintliche Ausweg ist unklar, was das Gedicht mit einer gewissen Wehmut und Resignation zurücklässt. Wolfenstein zeigt hier auf subtile Weise die Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz und die Unfähigkeit, wirklich zu entkommen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.