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Städter

Von

Nah wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, dass die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte sehn.

Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, wo die Blicke eng ausladen
Und Begierde ineinander ragt.

Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Dass ein jeder teilnimmt, wenn ich weine,
Flüstern dringt hinüber wie Gegröhle:

Und wie stumm in abgeschlossner Höhle
Unberührt und ungeschaut
Steht doch jeder fern und fühlt: alleine.

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Gedicht: Städter von Alfred Wolfenstein

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Städter“ von Alfred Wolfenstein beschreibt auf eindrucksvolle Weise das Gefühl der Entfremdung in der urbanen Lebenswelt. Der Dichter verwendet Bilder wie „Löcher eines Siebes“ und „grau geschwollen wie Gewürgte“, um die enge, bedrängende Atmosphäre der Stadt zu verdeutlichen, wo Häuser so dicht aneinandergereiht stehen, dass der Raum zwischen den Menschen und der Außenwelt nahezu erstickt. Die Stadt wird zu einem Ort der Überfüllung, der zwar physisch eine Nähe zwischen den Menschen erzeugt, emotional jedoch eine große Distanz zwischen ihnen bewahrt.

Die Darstellung der Trams und der Fassaden, die „ineinander dicht hineingehakt“ sind, verstärkt den Eindruck einer Überladung, bei der die Individuen sich nicht nur im physischen Raum, sondern auch in ihren Gefühlen und Wahrnehmungen überlagern. Die Blicke und Wünsche, die in diesem Gedicht thematisiert werden, bleiben jedoch oberflächlich und von der Enge des urbanen Lebens geprägt. „Begierde ineinander ragt“, was die Anonymität und die ständige Unruhe des städtischen Lebens widerspiegelt, in dem tiefere zwischenmenschliche Verbindungen schwer zu finden sind.

Die zweite Strophe hebt die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz hervor. „Unsere Wände sind so dünn wie Haut“ deutet auf die Empfindlichkeit und Verwundbarkeit der Menschen hin. Die Verletzlichkeit und die ständigen, teils schmerzhaften Eindrücke aus der Umgebung können nicht mehr von der äußeren Welt abgehalten werden. Dennoch bleibt die emotionale Isolation der Einzelnen bestehen. Trotz der Nähe von Wänden und Geräuschen ist jeder für sich allein, und „alleine“ bleibt das Gefühl, auch wenn er Teil einer großen Masse ist.

Die Sprache des Gedichts verstärkt die Ambivalenz zwischen Nähe und Isolation. Die enge Urbanität, die mit all ihren Lauten und Bildern den Körper umgibt, schafft eine scheinbare Nähe, die jedoch das Gefühl der Einsamkeit und Entfremdung nicht auflöst. Wolfenstein nutzt diese Gegensatzpaare, um die tiefe Krise der modernen städtischen Existenz zu schildern, die durch das Fehlen echter menschlicher Nähe und das Gefühl der inneren Leere geprägt ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.