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Gesänge an Berlin

Von

O du Berlin, du bunter Stein, du Biest.
Du wirfst mich mit Laternen wie mit Kletten.
Ach, wenn man nachts durch deine Lichter fließt
Den Weibern nach, den seidenen, den fetten.

So taumelnd wird man von den Augenspielen.
Den Himmel süßt der kleine Mondbonbon.
Wenn schon die Tage auf die Türme fielen,
Glüht noch der Kopf, ein roter Lampion.

Bald muß ich dich verlassen, mein Berlin.
Muß wieder in die öden Städte ziehn.
Bald werde ich auf fernen Hügeln sitzen.
In dicke Wälder deinen Namen ritzen.

Leb wohl, Berlin, mit deinen frechen Feuern.
Lebt wohl, ihr Straßen voll von Abenteuern.
Wer hat wie ich von eurem Schmerz gewußt.
Kaschemmen, ihr, ich drück euch an die Brust.

In Wiesen und in frommen Winden mögen
Friedliche heitre Menschen selig gleiten.
Wir aber, morsch und längst vergiftet, lögen
Uns selbst was vor beim In-die-Himmel-Schreiten.

In fremden Städten treib ich ohne Ruder.
Hohl sind die fremden Tage und wie Kreide.
Du, mein Berlin, du Opiumrausch, du Luder.
Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Gesänge an Berlin von Alfred Lichtenstein

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gesänge an Berlin“ von Alfred Lichtenstein ist eine leidenschaftliche und widersprüchliche Ode an die Stadt Berlin, die von Liebe, Schmerz und Entfremdung geprägt ist. Zu Beginn wird Berlin als „bunter Stein“ und „Biest“ bezeichnet, was eine ambivalente Haltung gegenüber der Stadt widerspiegelt: Sie ist gleichzeitig faszinierend und erschreckend. Die Metapher der Laternen, die wie Kletten werfen, verdeutlicht die Überwältigung und die zerrissene Beziehung des lyrischen Ichs zur Stadt. Die schillernde Nacht in Berlin, in der das Ich durch die „Lichter“ und die „Weiber“ taumelt, erscheint wie ein betäubender Rausch, der gleichzeitig Verlockung und Gefahr in sich trägt.

Im weiteren Verlauf des Gedichts wird diese Ambivalenz verstärkt, indem der poetische Blick auf die Stadt zwischen Verführung und Vergänglichkeit schwankt. Die „Augenspiele“ und der „kleine Mondbonbon“ symbolisieren die flimmernde, süße Faszination Berlins, die das lyrische Ich in den Bann zieht. Doch die „roten Lampions“ und die Vorstellung von den „Türmen“ fallen, werfen einen Schatten auf diese Vergnügungswelt und deuten auf den unausweichlichen Verfall hin, auf das schmerzhafte Wissen um das Ende dieses Rausches.

Der Höhepunkt des Gedichts ist die Trennung von Berlin. Der lyrische Sprecher wird Berlin bald verlassen müssen, was mit einem Gefühl der Endgültigkeit und des Verlusts verbunden ist. Es wird ein Kontrast zwischen der „öden Städte“ und den „dicken Wäldern“ gezogen, wobei das Bild des Zurücklassens von Berlin von einer Art melancholischer Nostalgie geprägt ist. Berlin, mit seinen „frechen Feuern“ und „Kaschemmen“, wird als Ort von wilden, rauen Abenteuern beschrieben, der sowohl eine Quelle der Freude als auch des Schmerzes ist.

Lichtenstein fängt in diesem Gedicht den inneren Konflikt des lyrischen Ichs mit Berlin ein: einerseits die tief empfundene, fast süchtige Sehnsucht nach der Stadt, andererseits das Wissen um die Zerstörung und Vergänglichkeit dieses Lebensstils. In den letzten Versen zeigt sich die Verzweiflung des Sprechers, der in der Fremde ohne Richtung „treibt“ und sich von der Erinnerung an Berlin quälen lässt. Berlin wird hier als „Opiumrausch“ und „Luder“ beschrieben, was den süchtig machenden Charakter der Stadt unterstreicht. Die Sehnsucht nach dieser Stadt bleibt tief in der Seele des Ichs verankert, und nur wer sie kennt, versteht den inneren Schmerz des Verlassens.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.