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Frauenliebe und -leben

Von

1

Seit ich ihn gesehen,
Glaub ich blind zu sein;
Wo ich hin nur blicke,
Seh ich ihn allein;
Wie im wachen Traume
Schwebt sein Bild mir vor,
Taucht aus tiefstem Dunkel
Heller nur empor.

Sonst ist licht- und farblos
Alles um mich her,
Nach der Schwestern Spiele
Nicht begehr ich mehr,
Möchte lieber weinen
Still im Kämmerlein;
Seit ich ihn gesehen,
Glaub ich blind zu sein.

2

Er, der herrlichste von allen,
Wie so milde, wie so gut!
Holde Lippen, klares Auge,
Heller Sinn und fester Mut.

So wie dort in blauer Tiefe,
Hell und herrlich, jener Stern,
Also er an meinem Himmel,
Hell und herrlich, hoch und fern.

Wandle, wandle deine Bahnen;
Nur betrachten deinen Schein,
Nur in Demut ihn betrachten,
Selig nur und traurig sein!

Höre nicht mein stilles Beten,
Deinem Glücke nur geweiht;
Darfst mich, niedre Magd, nicht kennen,
Hoher Stern der Herrlichkeit!

Nur die Würdigste von allen
Soll beglücken deine Wahl,
Und ich will die Hohe segnen,
Segnen viele tausend Mal.

Will mich freuen dann und weinen,
Selig, selig bin ich dann,
Sollte mir das Herz auch brechen,
Brich, o Herz, was liegt daran!

3

Ich kann’s nicht fassen, nicht glauben,
Es hat ein Traum mich berückt;
Wie hätt er doch unter allen
Mich Arme erhöht und beglückt?

Mir war’s, er habe gesprochen:
Ich bin auf ewig dein –
Mir war’s – ich träume noch immer,
Es kann ja nimmer so sein.

O laß im Traume mich sterben
Gewieget an seiner Brust,
Den seligsten Tod mich schlürfen
In Tränen unendlicher Lust.

4

Du Ring an meinem Finger,
Mein goldnes Ringelein,
Ich drücke dich fromm an die Lippen,
Dich fromm an das Herze mein.

Ich hatt ihn ausgeträumet,
Der Kindheit friedlichen Traum,
Ich fand allein mich verloren
Im öden unendlichen Raum.

Du Ring an meinem Finger,
Da hast du mich erst belehrt,
Hast meinem Blick erschlossen
Des Lebens unendlichen Wert.

Ich werd ihm dienen, ihm leben,
Ihm angehören ganz,
Hin selber mich geben und finden
Verklärt mich in seinem Glanz.

Du Ring an meinem Finger,
Mein goldnes Ringelein,
Ich drücke dich fromm an die Lippen,
Dich fromm an das Herze mein.

5

Helft mir, ihr Schwestern,
Freundlich mich schmücken,
Dient der Glücklichen heute mir.
Windet geschäftig
Mir um die Stirne
Noch der blühenden Myrte Zier.

Als ich befriedigt,
Freudiges Herzens,
Dem Geliebten im Arme lag,
Immer noch rief er,
Sehnsucht im Herzen,
Ungeduldig den heut’gen Tag

Helft mir, ihr Schwestern,
Helft mir verscheuchen
Eine törichte Bangigkeit;
Daß ich mit klarem
Aug ihn empfange,
Ihn, die Quelle der Freudigkeit.

Bist, mein Geliebter,
Du mir erschienen,
Gibst du, Sonne, mir deinen Schein?
Laß mich in Andacht,
Laß mich in Demut
Mich verneigen dem Herren mein.

Streuet ihm, Schwestern,
Streuet ihm Blumen,
Bringt ihm knospende Rosen dar.
Aber euch, Schwestern,
Grüß ich mit Wehmut,
Freudig scheidend aus eurer Schar.

6

Süßer Freund, du blicktest
Mich verwundert an,
Kannst es nicht begreifen,
Wie ich weinen kann;
Laß der feuchten Perlen
Ungewohnte Zier
Freudenhell erzittern
In den Wimpern mir.

Wie so bang mein Busen,
Wie so wonnevoll!
Wüßt ich nur mit Worten,
Wie ich’s sagen soll;
Komm und birg dein Antlitz
Hier an meiner Brust,
Will ins Ohr dir flüstern
Alle meine Lust.

Hab ob manchen Zeichen
Mutter schon gefragt,
Hat die gute Mutter
Alles mir gesagt,
Hat mich unterwiesen,
Wie, nach allem Schein,
Bald für eine Wiege
Muß gesorget sein.

Weißt du nun die Tränen,
Die ich weinen kann,
Sollst du nicht sie sehen,
Du geliebter Mann;
Bleib an meinem Herzen,
Fühle dessen Schlag,
Daß ich fest und fester
Nur dich drücken mag.

Hier an meinem Bette
Hat die Wiege Raum,
Wo sie still verberge
Meinen holden Traum;
Kommen wird der Morgen,
Wo der Traum erwacht,
Und daraus dein Bildnis
Mir entgegen lacht.

7

An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!

Das Glück ist die Liebe, die Lieb ist das Glück,
Ich hab es gesagt und nehm’s nicht zurück.

Hab überglücklich mich geschätzt,
Bin überglücklich aber jetzt.

Nur die da säugt, nur die da liebt
Das Kind, dem sie die Nahrung gibt;

Nur eine Mutter weiß allein,
Was lieben heißt und glücklich sein.

O wie bedaur ich doch den Mann,
Der Mutterglück nicht fühlen kann!

Du schauest mich an und lächelst dazu,
Du lieber, lieber Engel, du!

An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!

8

Nun hast du mir den ersten Schmerz getan,
Der aber traf.
Du schläfst, du harter, unbarmherz’ger Mann,
Den Todesschlaf.

Es blicket die Verlaßne vor sich hin,
Die Welt ist leer.
Geliebet hab ich und gelebt, ich bin
Nicht lebend mehr.

Ich zieh mich in mein Innres still zurück,
Der Schleier fällt,
Da hab ich dich und mein vergangnes Glück,
Du meine Welt!

9

Traum der eignen Tage,
Die nun ferne sind,
Tochter meiner Tochter,
Du mein süßes Kind,
Nimm, bevor die Müde
Deckt das Leichentuch,
Nimm ins frische Leben
Meinen Segensspruch.

Siehst mich grau von Haaren,
Abgezehrt und bleich,
Bin, wie du, gewesen
Jung und wonnereich,
Liebte, wie du liebest,
Ward, wie du, auch Braut,
Und auch du wirst altern,
So wie ich ergraut.

Laß die Zeit im Fluge
Wandeln fort und fort,
Nur beständig wahre
Deines Busens Hort;
Hab ich’s einst gesprochen,
Nehm ich’s nicht zurück:
Glück ist nur die Liebe,
Liebe nur ist Glück.

Als ich, den ich liebte,
In das Grab gelegt,
Hab ich meine Liebe
Treu in mir gehegt;
War mein Herz gebrochen,
Blieb mir fest der Mut,
Und des Alters Asche
Wahrt die heil’ge Glut.

Nimm, bevor die Müde
Deckt das Leichentuch,
Nimm ins frische Leben
Meinen Segensspruch:
Muß das Herz dir brechen,
Bleibe fest dein Mut,
Sei der Schmerz der Liebe
Dann dein höchstes Gut.

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Gedicht: Frauenliebe und -leben von Adelbert von Chamisso

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedichtzyklus „Frauenliebe und -leben“ von Adelbert von Chamisso schildert in neun Abschnitten die Lebens- und Liebesgeschichte einer Frau – von der ersten Schwärmerei bis hin zum Tod des geliebten Mannes und darüber hinaus. Der Zyklus folgt dabei einem klaren Erzählbogen und konzentriert sich auf die inneren Empfindungen des weiblichen lyrischen Ichs. Es entsteht das Porträt einer Frau, deren Leben sich vollständig um die Liebe zu einem Mann und später zu ihrem Kind dreht.

In den ersten Gedichten dominiert die idealisierende Verliebtheit. Der Mann wird als „hoher Stern“ beschrieben, nahezu unerreichbar und übermenschlich. Die Gefühle des lyrischen Ichs schwanken zwischen verzückter Bewunderung und schmerzlicher Selbstaufgabe. Diese einseitige Idealisierung findet in Gedicht 3 ihre überraschende Wendung: Die Liebe wird erwidert, das lyrische Ich ist fassungslos vor Glück. Ab diesem Punkt entwickelt sich der Zyklus von der stillen Sehnsucht zur gelebten Beziehung.

Die Gedichte 4 bis 7 zeigen die Hochzeit, eheliche Nähe und das Mutterglück. Die Sprache wird dabei zunehmend körperlicher und intimer – etwa in der Szene, in der das Kind an der Brust liegt. Chamisso zeichnet hier ein romantisiertes Frauenbild, in dem sich Liebe, Ehe und Mutterschaft als höchste Erfüllung darstellen. Die Frau lebt vollständig in ihrer Rolle als Gattin und Mutter auf; das Ich verschmilzt fast vollständig mit den geliebten Menschen – bis zur Selbstauflösung.

In Gedicht 8 folgt der Bruch: Der Tod des Mannes stürzt das lyrische Ich in tiefe Trauer. Die Welt erscheint leer, die Ich-Stimme zieht sich in ihr Innerstes zurück. Doch in der abschließenden neunten Strophe wendet sich das Gedicht noch einmal einer neuen Generation zu: Die Sprecherin richtet sich an ihre Enkelin, gibt ihr Weisheiten mit auf den Weg und überträgt ihr den Lebensfaden. Auch hier bleibt die zentrale Botschaft: „Glück ist nur die Liebe, / Liebe nur ist Glück.“

Insgesamt spiegelt der Zyklus eine romantische, sehr idealisierte Vorstellung von Weiblichkeit und Lebenssinn wider, die sich ganz auf Liebe, Hingabe und Familie konzentriert. Chamisso verleiht diesen Themen eine poetisch gefasste Tiefe, aber aus heutiger Sicht lässt sich auch kritisch auf das dargestellte Frauenbild blicken – als Ausdruck einer Zeit, in der weibliche Identität weitgehend auf Partnerschaft und Mutterschaft reduziert wurde.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.