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Gemein

Von

1

Zuweilen dünkt Dich: reich bin ich ja doch,
Denn immer hab‘ ich etwas noch zu geben,
Wer mir nur naht, er nimmt ein Stücklein noch
Aus diesem armgeplündert-dunklen Leben.

Du schauest voll Bewunderung sie an,
Die auszunützen Dich so wohl verstanden.
Noch sind sie höflich… werden grob sie, dann
Weißt Du, daß sie zu nehmen Nichts mehr fanden.

2

Immer fein nach der Schablone,
Immer fein in dem Geleise!
Leg‘ zurecht Dir Schmerz und Wonne
Nach der hergebrachten Weise.

Und kann nicht in alle Formen
Dein vertracktes Wesen passen,
Widerstrebt es dir, mit Normen,
Altgewohnt, dich zu befassen,

Ei, so lasse dich auch stutzen,
Lasse dich ein wenig blenden;
Um die Form nicht zu beschmutzen,
Laß den Inhalt lieber schänden.

Lasse langsam Dich dressiren
Zu der Alltags-Kleingeld Phrase;
Lern‘ gleich Anderen brilliren
Mit der hohlsten Seifenblase.

Deinen Ruhm an allen Orten
Werden sie dann singen, sagen –
Aber was aus Dir geworden,
Darfst Du selbst Dich niemals fragen.

3

Du kämpfest nutzlos gegen jene Macht,
Die alle Worte nicht erschöpfend nennen,
Woran die Brust wir stets uns blutig rennen,
Die unsre tiefsten Schmerzen frech verlacht.

Was liebevoll der Welt Du zugebracht,
Wofür begeistert treue Herzen brennen,
Es scheitert doch… Du wirst es noch erkennen
An des Gemeinen ewig starker Macht.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Gemein von Ada Christen

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gemein“ von Ada Christen setzt sich in drei thematisch verbundenen Abschnitten mit der Erfahrung individueller Verletzlichkeit, gesellschaftlicher Anpassung und der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber dem „Gemeinen“ auseinander. Dabei zieht sich ein tiefes Gefühl der Enttäuschung, des inneren Widerstands und zugleich der Resignation wie ein roter Faden durch das gesamte Gedicht. Es ist ein poetischer Aufschrei gegen eine Welt, die das Echte, Verletzliche und Wahrhaftige weder schützt noch anerkennt.

Im ersten Teil beschreibt das lyrische Ich ein gebendes, sich aufopferndes Wesen: Obwohl es selbst „armgeplündert“ ist, hat es noch etwas zu geben. Doch die Menschen um es herum nehmen nur – bis nichts mehr übrig bleibt. Die scheinbare Bewunderung der anderen entpuppt sich als Ausbeutung, die sich ins Grobe wandelt, sobald der Nutzen versiegt. Dieses Bild spricht von emotionaler Ausbeutung und einem sozialen Umfeld, das nicht auf Mitgefühl, sondern auf Berechnung basiert.

Der zweite Abschnitt ist ein bitter-satirischer Kommentar zur gesellschaftlichen Konformität. Das lyrische Ich verspottet die Erwartung, Gefühle und Lebenserfahrung „nach der hergebrachten Weise“ zu ordnen. Der Druck, sich normgerecht zu verhalten und mit hohlen Phrasen zu glänzen, wird als Entwürdigung des Innersten erlebt. Die Ironie ist beißend: Um äußeren Erwartungen zu genügen, soll man den „Inhalt“ – also das eigene Wesen – opfern. Der letzte Vers dieses Teils offenbart die Tragik der Selbstverleugnung: Wer sich der gesellschaftlichen Schablone unterwirft, wird gefeiert, verliert dabei aber sich selbst.

Im dritten Teil verdichtet sich das Gedicht zu einem existenziellen Protest gegen die Macht des „Gemeinen“. Was das lyrische Ich mit Liebe und Hingabe in die Welt trägt, wird verkannt oder zerstört. Der „Gemeine“ steht hier für das Grobe, Geistlose, Triviale – eine übermächtige Kraft, die sich jeder feineren Empfindung entgegenstellt. Der letzte Vers bringt die bittere Einsicht auf den Punkt: Selbst das Schönste, Wahrhaftigste scheitert an dieser dumpfen Macht.

„Gemein“ ist somit ein leidenschaftliches Gedicht über das Ringen um Echtheit in einer entwertenden Welt. Ada Christen formuliert darin eine tiefe Skepsis gegenüber sozialen Konventionen und verweist zugleich auf die seelischen Kosten, die mit innerer Wahrhaftigkeit verbunden sind. Es ist ein Gedicht des Widerstands – aber auch eines der Erschöpfung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.