Abendbild
Grau der Himmel, grau die Erde,
Grau das weite dürre Land,
Sonn’verbrannte nied’re Sträucher,
Schwarzer Sumpf und heißer Sand;
Doch schon weben in der Ferne
Abendnebel, dünn‘ und leicht,
Ihre grauen feuchten Schleier
Und die träge Stille weicht.
Denn ein mildes kühles Lüftchen,
Wie der reine Athemzug
Eines schlafumfang’nen Kindes,
Hemmt der Vögel matten Flug.
Aus den Büschen, still sich regend,
Ein geheimes Flüstern bricht,
Leise klagt’s im Sumpf und silbern
Spiegelt sich das Mondenlicht. –
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Abendbild“ von Ada Christen ist eine feinfühlige Naturbeschreibung, die den Übergang vom heißen Tag zur kühleren Abendstimmung schildert. In sanften Bildern evoziert das lyrische Ich eine Landschaft, die zunächst von Trostlosigkeit und Dürre geprägt ist, sich jedoch mit Einbruch der Dämmerung wandelt und eine fast geheimnisvolle Ruhe und Schönheit offenbart.
Zu Beginn herrscht eine monotone, lebensfeindliche Szenerie: „Grau der Himmel, grau die Erde“ – Himmel und Land verschmelzen in Farblosigkeit. Die Natur wirkt ausgedörrt und leblos, „sonn’verbrannte nied’re Sträucher“ und „heißer Sand“ zeichnen ein Bild der Hitze und Erschöpfung. Dieses Bild steht sinnbildlich für einen Zustand des Ausgelaugten, eine Art seelischer Trockenheit.
Mit dem Einsetzen des Abends beginnt sich die Atmosphäre zu verändern. Die „Abendnebel“ weben „feuchte Schleier“ – ein sanftes Bild, das Kühle und Erleichterung andeutet. Auch die „träge Stille“ weicht langsam, was auf eine wachsende Lebendigkeit in der Natur hindeutet. Das Gedicht beschreibt hier einen zarten Übergang, fast wie ein leises Aufatmen.
Besonders eindrucksvoll ist die Metapher des Abendwinds, der als „reiner Athemzug / Eines schlafumfang’nen Kindes“ beschrieben wird. Diese poetische Wendung verleiht der Natur eine zärtliche, beinahe menschliche Qualität. Sie vermittelt Geborgenheit und Frieden und kontrastiert die anfängliche Dürre. Die Bewegungen sind jetzt sanft, das Leben zurückhaltend, aber spürbar.
Die letzte Strophe verdichtet diese Stimmung: Flüstern aus den Büschen, Klagen im Sumpf, das Spiegeln des „Mondenlichts“ – die Geräusche und Eindrücke sind leise, geheimnisvoll und silbrig kühl. Ada Christen gelingt es hier, eine Naturstimmung einzufangen, die nicht nur atmosphärisch ist, sondern zugleich eine innere Bewegung widerspiegelt: von Erschöpfung zu Erleichterung, von Stillstand zu zartem Erwachen. Das Gedicht schließt in einer fast meditativen Ruhe – getragen von der Schönheit des Unspektakulären.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.