Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , ,

Wir Gespenster

Von

Wir haben all unsere Lüste vergessen,
In Cinémas suchen wir Grauen zu fressen;
Erleuchtete Tore locken uns sehr,
Doch die Angst ist gering – wir brauchen viel mehr.

Als Knaben sind wir ins Theater gegangen,
Nach gelben Actricen ging unser Verlangen;
Nur Herr Kerr geht noch hin, gegen Wunder geimpft,
Der Bürger, der Nietzsche und Strindberg beschimpft.

Für Haeckel-Vergnügungen dankten wir bestens,
Da flohen wir zitternd ins Café des Westens
Zu heiligen Frauen. Es gibt auch Hyänen,
Die scharren nach goldenen Löwenmähnen.

Aus der Welt Dostojewskis sind wir hinterblieben:
Gespenster, die Lautrec und Verzweiflung lieben.
Wir haben nichts mehr, was einst wir besessen,
In Cinémas suchen wir Grauen zu fressen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Wir Gespenster von Ferdinand Hardekopf

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wir Gespenster“ von Ferdinand Hardekopf beschreibt die desillusionierte und dekadente Haltung einer Generation, die sich in einer modernen, entwurzelten Welt verloren hat. Der Titel „Wir Gespenster“ weist darauf hin, dass sich das lyrische Wir selbst als eine Art Überbleibsel der Vergangenheit begreift – als blasse, ruhelose Gestalten ohne eigentliche Lebensfülle. Die „Lüste“ wurden „vergessen“, stattdessen sucht man „Grauen zu fressen“ – ein Ausdruck für die Suche nach Reizen, die über das Alltägliche hinausgehen, aber nur noch Leere und Konsum übriglassen.

Die Erinnerung an die Jugend – „Als Knaben sind wir ins Theater gegangen“ – kontrastiert mit der gegenwärtigen Ernüchterung. Früher war das Begehren noch von sinnlicher Neugier geprägt, etwa auf die „gelben Actricen“, ein Bild für exotisch wirkende Bühnenstars. Heute hingegen ist selbst das Theater leer an Wundern, der „Bürger“ verspottet die einstigen Inspirationsquellen wie Nietzsche und Strindberg. Hier zeigt sich eine Kritik an der Erstarrung der Gesellschaft und der Abstumpfung gegenüber künstlerischer Tiefe.

Auch die Wissenschaft („Haeckel-Vergnügungen“) bietet keine Erfüllung mehr, weshalb das lyrische Wir Zuflucht im „Café des Westens“ sucht – einem bekannten Treffpunkt der Berliner Bohème. Doch selbst dort herrscht Ambivalenz: zwischen der Verehrung „heiliger Frauen“ und der Abgründigkeit von „Hyänen“, die nach „goldenen Löwenmähnen“ scharren – ein Bild für das gierige, unerlöste Verlangen nach Ruhm oder Begehrenswertem.

In der Schlussstrophe wird die existenzielle Lage der Sprecher noch einmal zugespitzt: Als „Gespenster“ aus der Welt Dostojewskis – also geprägt von Verzweiflung, Schuld und innerer Zerrissenheit – finden sie nur noch Trost in der Kunst Lautrecs und in der Selbstaufgabe an die „Verzweiflung“. Das wiederholte Bild vom „Grauen“ in den „Cinémas“ beschreibt die Flucht in flüchtige, künstliche Sensationen. Das Gedicht wird so zu einer Bestandsaufnahme der Entfremdung einer Generation zwischen Dekadenz, Kulturpessimismus und dem verzweifelten Versuch, in einer entzauberten Welt noch Intensität zu finden.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.