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Vom Harze

Von

O stille, graue Frühe!
Die Blätter flüstern sacht;
der Hirsch hat seine Kühe
Zum Waldrand schon gebracht.
Zum Waldrand in die Saaten!
Da steht und stampft er schon!
Im Busch ruhn die Kossathen,
Der Vater und sein Sohn.

Der Alte wiegt in Händen
Den rost’gen Flintenlauf!
„Ein Hirsch von vierzehn Enden!
Kerl, Schwerenot, halt drauf!“
Der junge drückt – ein Knallen!
Das heiß’ ich gute Birsch!
Sie sehn zur Erde fallen
Den vierzehnend’gen Hirsch!

Fortstieben rings die Kühe –
Der Alte ruft: „O Glück!“
Stürzt vor und stemmt die Knie
Auf das erlegte Stück.
„Ei, Bursch, du zieltest wacker!
Sieh selber – grad aufs Blatt!
Gott segn’ es unserm Acker –
Der frißt sich nicht mehr satt!

Dem ist kein Korn mehr nütze,
Der biegt kein Hälmlein mehr,
Der – nun, was gaffst du, Fritze?
Rasch! Gib die Stricke her!
So – Fuß an Fuß gebunden!
Fühl doch, er wird schon kalt!“ –
Da ritt mit Volk und Hunden
der Förster aus dem Wald.

Hilf Gott, der kennt die Schliche!
Nun gilt’s! Aufspringt das Paar,
Reißt aus und läßt im Stiche
die Doppelläufe gar!
Der Förster bleibt nicht hinten,
Nachruft er: „Steh, Gezücht,
Was helfen mir die Flinten,
Hab ich die Schützen nicht?“

Umsonst! – Da rasch zur Wange
hebt er der Büchse Wucht!
Zielt – kalt und fest und lange!
Was – Menschen? – Auf der Flucht?
Gleichviel! Er drückt – ein Knallen!
Hallo, das heiß ich Glück!
Den Alten sieht er fallen –
Er traf ihn ins Genick!

In seiner eignen Gerste
Daliegt der knochige Mann;
Als ob das Herz ihm berste,
Aufstöhnt er dann und wann!
Sein Blut, dem Wams entquollen,
Rinnt ab in Furch’ und Spur;
warm sickert’s durch die Schollen –
Was denkt die Lerche nur?

Sie sitzt im stillen Neste –
Da schießt das Blut herein!
Aufschwirrt sie gleich zur Feste,
Blut an den Flügelein!
Sie läßt vor Gott es blitzen
Im ersten Sonnenblick,
Sprengt auf die Halmenspitzen
Es schmetternd dann zurück!

Das ist ein kräftiger Regen,
Das ist ein kostbar Sprüh’n!
Das ist ein Lerchensegen,
Der macht die Saaten grün!
Der tropft auch auf den Jungen,
Der hinrast übers Feld
Und heulend dann umschlungen
den toten Vater hält!

Fort, Bursch! Was noch umklammern
Die starre Mannsgestalt!
Fort nun, und laß dein Jammern –
„Fühl doch, er wird schon kalt!“
Zurück vom blauen Munde
mit deinem rothen! – Sieh’,
ankeuchen schon die Hunde –
Herrgott, zum „Halali“!

Stracks ruhn auf einem Karren
Der Hirsch und auch der Mann!
Zum Roth- und Schwarzwildscharren
Fortgeht es durch den Tann!
Fortgeht’s in einer Hetze –
Der Förster pfeift und lacht!
Warum nicht? – Die Gesetze
Vollstreckt’ er nur der Jagd!

Drum macht ihm keine Trauer
Des jungen wild Geknirsch –
Vergessen wird der Bauer,
Gegessen wird der Hirsch!
Ihm selbst wird die Medaille –
Ja, so, das fehlte noch! –
Den Fritzen, die Kanaille,
Wirft man ins Hundeloch!

Da starrt er trüb durchs Gitter;
Ein Lei’rer steht am Thor,
Der singt zu seiner Zitter
Ein Lied den Leuten vor:
„Es lebe, was auf Erden
Stolziert in grüner Tracht,
Die Wälder und die Felder,
der Jäger und die Jagd!“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Vom Harze von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Vom Harze“ von Ferdinand Freiligrath entfaltet eine düstere Jagdgeschichte, die soziale Ungerechtigkeit und die brutale Realität des Lebens im 19. Jahrhundert aufzeigt. Es beginnt mit einer idyllischen Naturbeschreibung, die jedoch schnell durch die Ankunft des Jägers und seines Sohnes unterbrochen wird, die einen Hirsch erlegen. Die anfängliche Freude über den Jagderfolg weicht der Tragödie, als der Förster auftaucht, der die Wilderei bestraft.

Die Handlung spitzt sich zu, als der Förster den alten Wilderer erschießt und der Sohn fliehen muss. Das Gedicht wechselt dann zu einer surrealen Szenerie, in der das Blut des Getöteten das Nest einer Lerche erreicht und die Szenerie grotesk überzeichnet wird. Die Lerche wird zum Symbol für die Natur, die von der Gewalt berührt wird und ihren Segen über die Felder ausgießt, während der Sohn über den Tod seines Vaters trauert. Die Botschaft ist unmissverständlich: Der Kreislauf des Lebens wird durch Gewalt gestört und die natürlichen Regeln durch menschliches Handeln verdreht.

Die Sprache des Gedichts ist reich an Bildern und drastischen Details, die die Grausamkeit der Jagd und die Ungerechtigkeit der sozialen Verhältnisse verdeutlichen. Die Verwendung von Dialekt und derbe Ausdrücken verstärkt den realistischen Eindruck und verleiht dem Gedicht eine gewisse Authentizität. Freiligrath nutzt die Naturbilder, um die Brutalität der menschlichen Handlungen zu kontrastieren. Die Lerche, die ihren Gesang von der Szene fortträgt, wird zum Symbol für Hoffnung inmitten des Chaos, welches sich in der Jagdszene ausbreitet.

Die zentrale Botschaft des Gedichts ist die Kritik an der ungerechten sozialen Ordnung. Der Förster, der die Gesetze der Jagd vertritt, wird als skrupelloser Vollstrecker dargestellt, während die Wilderer als Opfer der Umstände erscheinen. Das Gedicht endet mit einer zynischen Pointe: Der Hirsch wird gegessen, der Bauer vergessen und der Sohn ins Hundeloch geworfen, während der Förster seinen Erfolg feiert. Dieses Ende verdeutlicht die Missachtung des einfachen Volkes und die Überlegenheit der herrschenden Klasse. Das Lied des Lei’rers, das die Jagd feiert, unterstreicht die zynische Haltung der Gesellschaft gegenüber den Opfern der Ungerechtigkeit.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.