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Piedro

Von

Dunkel ruhet auf den Wassern,
Tiefe Stille weit umher,
Piedro’s Schiff nur theilt die Wellen,
Seine Ruder schlägt das Meer.

Aber Piedro steht am Maste
Und sein Aug‘ in trüber Glut,
Sucht den Räuber der Geliebten,
Sucht sie durch des Meeres Fluth.

Endlich naht er ihrem Segel,
Endlich geht die lange Nacht,
Und mit ungedult’ger Eile
Ordnet er der Schiffe Schlacht.

Viele fallen, Viele siegen,
Einer kämpft mit Löwenmuth,
Naht sich Piedron durch die Menge
Kühnlich mit bescheidnem Muth.

Und sie kämpfen, keiner weichet,
Tapferkeit wird wilde Wuth;
Und in zornigen Strömen mischet
Sich der Kämpfer heißes Blut.

Endlich in des Jünglings Busen
Senket Piedro seinen Stahl,
Vor dem unwillkommenen Gaste
Flieht sein süßes – Leben all.

Und er stirbt so hold im Tode,
Daß Piedro niedersinkt,
Und von seinen blassen Lippen
Reuig heiße Küsse trinkt.

Nacht will endlich niedersinken,
Tiefe Stille weit umher;
Piedro’s Schiff nur theilt die Wellen,
Seine Ruder schlägt das Meer.

Piedro aber liegt verwundet
Einsam in des Schiffes Raum;
Seine Seele ist gefangen,
Ganz und gar in einem Traum.

Denn ihm däucht er sey umschlungen
Von des todten Jünglings Arm,
Freundlich will sein Auge brechen,
Doch es schlägt sein Herz noch warm.

Piedro will sich von ihm reißen,
Doch mit sehnsuchtsvollem Blick
Und mit heißen Liebesküssen
Hält der Knabe ihn zurück.

Freudig, daß er sie befreiet,
Tritt die Braut zu Piedro hin,
Will ihn trösten, will versuchen,
Ob die bösen Träume fliehn.

Und sie neigt sich zu ihm nieder,
Ruft des Theuern Namen laut.
Er erwacht und mit Entsetzen
Wendet er sich von der Braut.

Und er mag sie nicht mehr schauen,
Ihre Liebe ist ihm Pein.
Tief versenkt nur im Betrachten
Des Gestorbenen mag er seyn.

Und das süße Mädchen weinet
Sie verhüllt ihr Angesicht,
Möchte gern vor Schmerzen sterben,
Nur den Theuern lassen nicht.

Piedro siehts, ein tiefes Sehnen
Zieht ihn nach des Grabes Ruh,
Er zerreißt der Wunde Banden
Und geht still den Todten zu.

Dunkel ruhet auf den Wassern,
Tiefe Stille weit umher,
Piedro’s Schiff erreicht die Küste,
Aber er schläft tief im Meer.

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Gedicht: Piedro von Karoline von Günderode

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Piedro“ von Karoline von Günderode ist eine dramatische Ballade, die von Liebe, Eifersucht, Schuld und Tod erzählt. Im Zentrum steht Piedro, der auf dem Meer den Rivalen um seine Geliebte sucht, ihn im Kampf tötet und schließlich von Reue und einer tiefen inneren Zerrissenheit überwältigt wird. Die Ballade verbindet Elemente von Romantik und Tragödie und spielt mit den Themen Tod und unerlöste Liebe.

Der erste Teil schildert die nächtliche Szene auf dem Meer, in der Piedro auf der Suche nach dem „Räuber der Geliebten“ ist. Die Atmosphäre ist von Dunkelheit, Stille und gespannter Erwartung geprägt. In der darauffolgenden Schlacht tötet Piedro seinen Widersacher, doch der Tod des jungen Mannes wird nicht als heroischer Triumph, sondern als tragischer Moment inszeniert: Piedro sinkt reuig zu ihm nieder und küsst den Sterbenden. Damit wird schon angedeutet, dass der eigentliche Konflikt nicht nur äußerlich, sondern vor allem innerlich weiterbesteht.

Die zweite Hälfte des Gedichts zeigt Piedro als Gefangenen seiner Schuld und seiner seelischen Verwirrung. Im Fiebertraum erscheint ihm der Tote als Liebender, der ihn umarmt und nicht mehr loslässt. Die Braut, die ihm Trost spenden möchte, erreicht ihn nicht mehr, da seine Gedanken und Gefühle ganz dem Gestorbenen gehören. Die einst ersehnte Liebe der Braut wird ihm nun zur Last, denn seine Schuld und die dunkle Faszination für den Tod ziehen ihn unwiderruflich zu dem Getöteten hin.

Am Ende entscheidet sich Piedro bewusst für den Tod. Er löst die Verbände seiner Wunde und folgt dem Toten in die Dunkelheit. Das Gedicht endet mit der wiederholten Naturbeschreibung der „tiefen Stille“ und dem Bild des Schiffes, das ohne Piedro die Küste erreicht, während er „tief im Meer“ ruht. Damit betont die Ballade die tragische Konsequenz einer von Leidenschaft, Schuld und innerer Zerrissenheit bestimmten Handlung. Die Motive von Nacht, Meer und Tod verleihen der Geschichte eine düstere und melancholische Grundstimmung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.