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Lügenmärchen

Von

Ich will euch erzählen und will auch nicht lügen:
ich sah zwei gebratene Ochsen fliegen,
sie flogen gar ferne –
sie hatten den Rücken gen Himmel gekehrt,
die Füße wohl gegen die Sterne.

Ein Amboss und ein Mühlstein
die schwammen bei Köln wohl über den Rhein,
sie schwammen gar leise –
ein Frosch verschlang alle beid′
zu Pfingsten wohl auf dem Eise.

Es wollten vier einen Hasen fangen,
sie kamen auf Stelzen und Krücken gegangen,
der erste konnte nicht sehen,
der zweite war stumm, der dritte war taub,
der vierte konnte nicht gehen.

Nun denke sich einer, wie dieses geschah:
Als nun der Blinde den Hasen sah
auf grüner Wiese grasen,
da rief′s der Stumme dem Tauben zu,
und der Lahme erhaschte den Hasen.

Es fuhr ein Schiff auf trockenem Land
es hatte die Segel gen Wind gespann
und segelt′ im vollen Laufen –
da steiß es an einen hohen Berg,
da tät das Schiff ersaufen.

In Straßburg stand ein hoher Turm,
der trotzete Regen, Wind und Sturm
und stand fest über die Maßen,
den hat der Kuhhirt mit einem Horn
eines Morgens umgeblasen.

Ein altes Weib auf dem Rücken lag,
sein Maul wohl hundert Klaftern weit auftat,
′s ist wahr und nicht erlogen,
drin hat der Storch fünfhundert Jahr
seine Jungen groß gezogen.

So will ich hiemit mein Liedlein beschließen,
und sollt′s auch die werte Gesellschaft verdrießen,
will trinken und nicht mehr lügen:
bei mir zu Land sind die Mücken so groß,
als hier die größesten Ziegen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Lügenmärchen von Ernst Moritz Arndt

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lügenmärchen“ von Ernst Moritz Arndt ist eine humorvolle Sammlung von fantastischen, unglaubwürdigen Geschichten, die sich in ihrer Absurdität entfalten und den Leser zum Schmunzeln bringen. Es ist ein Spiel mit der Wahrheit, ein augenzwinkerndes Eingeständnis der Unwahrheit, das jedoch eine tiefere Bedeutungsebene besitzt. Der Dichter nutzt die Übertreibung und das Unmögliche, um die Erwartungen des Lesers zu untergraben und gleichzeitig die Freude an der Fantasie zu wecken.

Die einzelnen Strophen präsentieren eine Reihe von grotesken Bildern: gebratene Ochsen, die fliegen, ein Amboss und ein Mühlstein, die schwimmen, ein blindes, stummes, taubes und lahmendes Team, das einen Hasen fängt, ein Schiff, das auf dem Land segelt und an einem Berg zerschellt, ein Turm, der von einem Kuhhirten umgeblasen wird und ein altes Weib, in dessen riesigem Maul Störche ihre Jungen aufziehen. Jede dieser Episoden ist eine bewusste Übertreibung, eine Verhöhnung der Logik und der physikalischen Gesetze. Durch diese Übertreibungen karikiert Arndt die Welt und spielt mit den Konventionen des Erzählens.

Die Verwendung des Begriffs „Lügenmärchen“ im Titel und die wiederholte Betonung des „Nicht-Lügens“ im Text sind entscheidend. Sie machen das Gedicht zu einem Spiel mit den Erwartungen des Lesers. Die Aussage, dass die Geschichten wahr sind, verstärkt den humorvollen Effekt, da die offensichtliche Unglaubwürdigkeit der Erzählungen dem Leser bewusst ist. Der Dichter spielt mit der Kluft zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Realität und Fantasie und lädt den Leser ein, sich in dieser fiktiven Welt zu verlieren.

Die letzte Strophe, in der der Dichter behauptet, dass die Mücken in seinem Land so groß wie Ziegen sind, ist ein abschließender Höhepunkt der Übertreibung. Sie dient als pointierter Schlusspunkt, der das Spiel mit der Lüge noch einmal unterstreicht und gleichzeitig eine gewisse Selbstironie des Dichters erkennen lässt. Der Humor des Gedichts liegt in der Kombination von Fantasie, Übertreibung und der spielerischen Inszenierung der Unglaubwürdigkeit. Es ist ein Manifest der Fantasie, das die Freude am Erzählen und die Freiheit des Geistes feiert.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.