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Minnesänger

Von

Das Laub beginnet fallen,
Und Winter naht mit Macht.
Ergeht an dich die Frage:
Was hast du für dich bracht?

Hast du der rothen Äpfel?
Hast du der süßen Birn?
Hast du voll goldner Halme
Die Scheuern bis zur Firn?

Hast Hölzer auf dem Boden?
Im Keller süßen Trunk?
Dann fürcht dich nicht zu sehre,
Fürrath hast du genung.

Ich sah die Liljen blühen,
Dazu die Heideblum,
Die Nachtigall im Walde
Die sang des Maien Ruhm.

Da blühte mein Gemüthe
Allauf aus schwerem Leid,
Gemahnte mitzusingen
Des Maien Herrlichkeit.

Und sangen wir selbander,
Frau Nachtigall und ich.
Da nahm sie aber Flügel
Und flog zum Himmelrich.

Und flog zum blauen Himmel,
Sah fröhlich allumher,
Und flog zu neuen Blumen
Gen Süden über Meer.

Nun stand ich fast betroffen
Und rief: Frau Muhme, halt!
Da stand ich ganz alleine
Zu singen in dem Wald.

Es fehlt mir sehr an Schwingen,
Sonst flög ich gerne mit,
Sonst flög ich mit gen Süden,
Wenn ich zwei Flügel hätt.

Ich habe schier versäumet
Der Früchte einzufahn.
Doch der die Liljen kleidet,
Wird mich nicht durfen lan.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Minnesänger von Klaus Groth

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Minnesänger“ von Klaus Groth thematisiert den Gegensatz zwischen materieller Vorsorge und innerer, künstlerischer Erfüllung. In einer bildhaften Gegenüberstellung zwischen Herbst und Frühling, zwischen Ernte und Gesang, reflektiert das lyrische Ich über seinen Lebensweg und die Frage, was wirklich zählt. In den ersten Strophen steht die existenzielle Frage im Mittelpunkt: Wer für den Winter vorgesorgt hat – mit Äpfeln, Birnen, Korn und Holz –, braucht sich nicht zu fürchten. Diese materiellen Güter stehen für Sicherheit und vorausschauendes Handeln. Doch das lyrische Ich schlägt einen anderen Weg ein: Statt sich um Vorräte zu kümmern, erfreut es sich an der Schönheit der Natur, an blühenden Lilien und dem Gesang der Nachtigall. Die Nachtigall, oft ein Symbol für die Dichtung, inspiriert das lyrische Ich zum Mitsingen – eine Metapher für künstlerische Hingabe und das Aufgehen in der Schönheit des Augenblicks. Doch die Nachtigall verlässt ihn und fliegt gen Süden, während das lyrische Ich zurückbleibt – ein Symbol für die Vergänglichkeit der Inspiration oder die Einsamkeit des Künstlers. Die Sehnsucht nach der Freiheit des Vogels wird deutlich („Es fehlt mir sehr an Schwingen“), doch bleibt das lyrische Ich an die irdische Welt gebunden. Am Ende des Gedichts schwingt ein stilles Vertrauen mit: Obwohl er die „Früchte“ des Lebens nicht gesammelt hat, tröstet ihn der Glaube, dass Gott, der selbst die Lilien kleidet, ihn nicht verlassen wird. So verbindet das Gedicht die romantische Vorstellung von Kunst und Natur mit einer tiefen, fast biblischen Zuversicht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.