Alpenszene
Hoch auf den höchsten Höhen
Gedeiht am besten das Rindvieh,
Da wohnen die seligen Trotteln
Dem Himmel etwa am nächsten,
Doch freilich am fernsten der Erde.
Sie scheren geduldige Schafe,
Sie melken die strotzenden Kühe,
Sie leben vom Fette der Herden,
In Form der Köpfe die Kröpfe.
Sie falten die Hände voll Andacht,
Bekreuzen hohltönende Stirnen.
Was unten geschieht in den Tälern,
Stört nicht ihre selige Ruhe.
Geduldig sind sie, bescheiden,
Es fehlt der Antrieb zum Bösen,
Und tun sie wirklich ein Unrecht,
Wärs unrecht, sie drob zu beschuldgen,
Und Nachsicht ersetzt ihre Einsicht.
So leben sie friedliche Tage,
Erzeugen maulaffende Kinder,
Der Vater erneut sich im Sohne
Und ruhig auf Trottel den Ersten,
Wie Butter, folgt Trottel der Zweite.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Alpenszene“ von Franz Grillparzer ist eine bissige Satire auf die vermeintliche Idylle des einfachen Landlebens. Mit ironischem Ton beschreibt der Dichter die Bewohner der Alpen nicht als edle, naturverbundene Menschen, sondern als naive, einfältige Wesen, die zwar dem Himmel geografisch nahe sind, aber geistig weit entfernt von weltlichem Fortschritt.
Bereits in der ersten Strophe wird dieser Kontrast deutlich: Die Bewohner der höchsten Höhen sind „selige Trotteln“, die zwar dem Himmel näher scheinen, aber von der realen Welt weit entfernt leben. Die folgenden Strophen zeichnen ein Bild von harmloser Genügsamkeit – sie melken Kühe, scheren Schafe und falten die Hände zum Gebet. Ihre Gedankenwelt bleibt eng, sie lassen sich durch das Geschehen in den Tälern nicht stören.
Grillparzer treibt die Ironie weiter, indem er die Bewohner als gutmütig, aber geistig träge beschreibt. Selbst Unrecht wird ihnen nicht angelastet, da ihnen die Einsicht dafür fehlt – eine doppeldeutige Anspielung auf mangelndes Urteilsvermögen. Die Satire gipfelt schließlich in der Darstellung der Generationenfolge: „Trottel der Erste“ wird nahtlos von „Trottel der Zweite“ abgelöst, ein Seitenhieb auf die unreflektierte, traditionsgebundene Lebensweise, die sich ohne Veränderung wiederholt.
Das Gedicht spielt mit dem romantisierten Bild des einfachen Lebens in den Bergen und entlarvt es als stagnierend und geistig beschränkt. Grillparzer setzt eine scharfe, sarkastische Sprache ein, um die vermeintliche Unschuld und Friedfertigkeit der Alpenbewohner als passive, gedankenlose Existenz darzustellen. „Alpenszene“ ist damit eine pointierte Kritik an einer Welt, die in ihrer Ruhe und Bescheidenheit jede Entwicklung meidet und sich selbst genug ist.
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Lizenz und Verwendung
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