Gedichte sind gemalte Fensterscheiben
Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!
Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,
Da ist alles dunkel und düster;
Und so sieht’s auch der Herr Philister:
Der mag denn wohl verdrießlich sein
Und lebenslang verdrießlich bleiben.
Kommt aber nur einmal herein,
Begrüßt die heilige Kapelle;
Da ist’s auf einmal farbig helle,
Geschicht und Zierat glänzt in Schnelle,
Bedeutend wirkt ein edler Schein;
Dies wird euch Kindern Gottes taugen,
Erbaut euch und ergetzt die Augen!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Gedichte sind gemalte Fensterscheiben“ von Johann Wolfgang von Goethe nutzt das Bild einer Kirchenfensterscheibe als Metapher für die Wirkung von Poesie. Von außen betrachtet erscheinen die Fenster – und damit auch die Gedichte – dunkel und unscheinbar, so wie sie für oberflächliche Betrachter oder „Philister“ unverständlich und uninteressant bleiben. Diese Menschen, die Kunst und Poesie nicht zu schätzen wissen, bleiben in ihrer tristen, nüchternen Weltsicht gefangen.
Erst wer bereit ist, in die Kirche einzutreten – oder sich auf die Kunst einzulassen –, erkennt die wahre Schönheit der farbigen Fenster. Im Inneren leuchten sie in voller Pracht, zeigen ihre Bedeutung und erfreuen das Gemüt. Diese Erfahrung wird als etwas Erhabenes dargestellt, das den „Kindern Gottes“ vorbehalten ist, also denjenigen, die empfänglich für höhere geistige Werte sind.
Das Gedicht setzt sich somit mit dem Gegensatz von oberflächlicher Betrachtung und tieferem Verstehen auseinander. Es fordert den Leser indirekt dazu auf, sich aktiv mit Poesie zu beschäftigen, um ihre wahre Schönheit und ihren geistigen Reichtum zu erkennen. Damit vermittelt Goethe eine idealistische Vorstellung von Dichtung als etwas, das erst durch die richtige Perspektive seinen wahren Wert entfaltet.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.