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Ganymed

Von

Wie im Morgenglanze
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter!
Mit tausendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drängt
Deiner ewigen Wärme
Heilig Gefühl,
Unendliche Schöne!

Daß ich dich fassen möcht‘
In diesen Arm!

Ach an deinem Busen
Lieg‘ ich, schmachte,
Und deine Blumen, dein Gras
Drängen sich an mein Herz.
Du kühlst den brennenden
Durst meines Busens,
Lieblicher Morgenwind,
Ruft drein die Nachtigall
Liebend nach mir aus dem Nebelthal.
Ich komm‘! Ich komme!
Wohin? Ach, wohin?

Hinauf! Hinauf strebt’s.
Es schweben die Wolken
Abwärts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe.
Mir! Mir!
In euerm Schooße
Aufwärts!
Umfangend umfangen!
Aufwärts an deinen Busen,
Alliebender Vater!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Ganymed von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ganymed“ von Johann Wolfgang von Goethe beschreibt in ekstatischer Sprache die mystische Vereinigung des lyrischen Ichs mit der Natur und dem Göttlichen. Die Natur wird hier nicht nur als äußere Erscheinung wahrgenommen, sondern als lebendiges, liebendes Wesen, das das Ich mit seiner Wärme und Schönheit umhüllt. Besonders die Naturphänomene wie der Morgen, die Blumen und der Wind erscheinen als Ausdruck einer allumfassenden, göttlichen Liebe.

Diese ekstatische Verschmelzung steigert sich im Verlauf des Gedichts. Das lyrische Ich fühlt sich immer stärker von der Natur und ihrer Liebe angezogen und empfindet eine unstillbare Sehnsucht, die sich schließlich in einer Bewegung „hinauf“ äußert. Die Wolken werden als vermittelndes Element zwischen Erde und Himmel dargestellt – sie neigen sich zur sehnsüchtigen Liebe des Ichs, das sich ihnen voller Hingabe anvertraut.

Der letzte Vers macht schließlich deutlich, dass diese Bewegung nicht nur eine Annäherung an die Natur, sondern an eine höhere, göttliche Macht ist. Das „Alliebender Vater“ verweist auf eine religiös-mystische Dimension, die eine Verschmelzung mit dem Göttlichen anstrebt. Damit spiegelt das Gedicht Goethes pantheistische Weltanschauung wider: Gott offenbart sich in der Natur, und der Mensch kann sich in ekstatischer Liebe mit ihm vereinen. „Ganymed“ wird so zum Sinnbild einer schwärmerischen Hingabe an die Schöpfung und das Göttliche.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.