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Der Fischer

Von

Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor;
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
„Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew’gen Tau?“

Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll,
Netzt‘ ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war’s um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
Und ward nicht mehr gesehn.

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Gedicht: Der Fischer von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Fischer“ von Johann Wolfgang von Goethe erzählt in einer märchenhaften Ballade von der Verführung eines Fischers durch eine geheimnisvolle Wasserfrau. Während der Fischer ruhig am Ufer sitzt und angelt, steigt aus den Fluten eine verführerische Gestalt empor. Sie klagt ihn an, weil er mit List und Täuschung ihre „Brut“, die Fische, ins Verderben lockt. Doch anstatt ihn zu bestrafen, versucht sie, ihn in ihre eigene Welt zu ziehen.

Die Wasserfrau verführt den Fischer nicht nur durch ihre Worte, sondern auch durch die poetische Schönheit ihrer Welt. Sie beschreibt das Wasser als einen Ort der Ruhe und Heilung, in dem die Natur auf wundersame Weise in Harmonie lebt. Die Spiegelung der Sonne und des Mondes, das tiefe Blau und der „ew’ge Tau“ verleihen dem Wasser eine mystische Anziehungskraft. Diese verklärte Darstellung steht im Kontrast zur menschlichen Welt, die im Gedicht kaum Erwähnung findet und weniger reizvoll erscheint.

Letztlich verfällt der Fischer der magischen Anziehungskraft der Wasserfrau. Ob aus Sehnsucht, Verzauberung oder unbewusster Todeslust – er gibt sich ihr hin, indem er ins Wasser gezogen wird oder selbst versinkt. Das Gedicht lässt offen, ob dies ein glückliches oder tragisches Ende ist. Die Ballade spielt mit den Themen Verführung, Naturmacht und der Grenze zwischen Leben und Tod. Das Wasser erscheint dabei als geheimnisvolle, unwiderstehliche Welt, die den Menschen in ihren Bann zieht und ihn verschlingt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.