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Das Lied

Von

Es fuhr ein knecht hinaus zum wald.
Sein bart war noch nicht flück.
Er lief sich irr im wunderwald.
Er kam nicht mehr zurück.

Das ganze dorf zog nach ihm aus
Vom früh- zum abendrot
Doch fand man nirgends seine spur.
Da gab man ihn für tot.

So flossen sieben jahr dahin.
Und eines morgens stand
Auf einmal wieder er vorm dorf
Und ging zum brunnenrand.

Sie fragten wer er wär und sahn
Ihm fremd ins angesicht.
Der vater starb die mutter starb
Ein andrer kannt ihn nicht.

Vor tagen hab ich mich verirrt.
Ich war im wunderwald.
Dort kam ich recht zu einem fest.
Doch heim trieb man mich bald.
Die leute tragen güldnes haar
Und eine haut wie schnee.
So heissen sie dort sonn und mond
So berg und tal und see.

Da lachten all: in dieser früh
Ist er nicht weines voll.
Sie gaben ihm das vieh zur hut
Und sagten er ist toll.

So trieb er täglich in das feld
Und sass auf einem stein
Und sang bis in die tiefe nacht
Und niemand sorgte sein.

Nur kinder horchten seinem lied
Und sassen oft zur seit.
Sie sangens als er lang schon tot
Bis in die spätste zeit.

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Gedicht: Das Lied von Stefan George

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Lied“ von Stefan George erzählt die geheimnisvolle Geschichte eines jungen Mannes, der im „Wunderwald“ verschwindet und erst nach sieben Jahren zurückkehrt. Doch obwohl er ins Dorf zurückfindet, erkennt ihn niemand mehr. Seine Eltern sind gestorben, und die Dorfbewohner begegnen ihm mit Skepsis. Seine Erlebnisse im Wunderwald – ein Ort mit goldhaarigen Menschen und schneeweißer Haut – erscheinen ihnen unglaubwürdig, und sie halten ihn für verwirrt.

Die Erzählung folgt der Struktur einer alten Sage oder Ballade, in der die Grenze zwischen Realität und Mystik verschwimmt. Der junge Mann erlebt in der Anderswelt ein Fest, doch wird er von dort zurückgeschickt, als gehöre er nicht mehr dorthin. In seiner eigenen Welt wiederum ist er ein Fremder geworden. Dieser Verlust von Zugehörigkeit spiegelt das klassische Motiv des Wanderers wider, der zwischen zwei Welten steht und in keiner mehr heimisch ist.

Das zentrale Element des Gedichts ist das Lied des Heimgekehrten, das zwar von den Erwachsenen ignoriert wird, aber von den Kindern aufgenommen und über Generationen weitergetragen wird. Hier zeigt sich die Kraft der Poesie: Das Erlebte mag vom Verstand abgelehnt werden, doch es lebt in der Fantasie und im Gesang fort. George thematisiert damit die Spannung zwischen Rationalität und dichterischer Wahrheit und hebt die Bedeutung von Kunst als Medium der Erinnerung und des Staunens hervor.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.