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Merlin

Von

Seine Mutter war ein Königskind.
Sie hatte Flechten, ährenschwer,
ihr Auge war voll Aufbegehr,
und dennoch oft von Tränen blind.

Der Vater war ein böser Mann.
Sein Anblick tat der Mutter weh.
Vor seinem Schritt erschrak sie jäh.
Sie sah ihn niemals lächelnd an.

Dies Elternpaar begriff er nicht,
wie Zart und Rau sich so gepaart,
und in des Vaters Gegenwart
mied er der Mutter Angesicht,

das so verdunkelt und entstellt
ihm Folter war und Seelenpein,
weil es ihm heilig schien und rein,
wie sonst nichts auf der Welt.

*

Er selbst war sehr geheimnisvoll und schön.
Ein Knabe noch,
braute er schon Getränke,
die schimmerten smaragdgrün und tiefblau,
vielfarbiger als Weine in der Schenke.

Er sann des Nachts und schlief am Tage ein
unter dem Rauschduft seltsamer Gerüche.
Im Mischkrug brodelte ein giftiger Wein,
der Knabe schaute dann Gesichte:

Geister der Luft umfächelten ihm kühl
die heißen Schläfen, und den giftigen Brodem,
der ihn ersticken wollte, schickten sie nach oben.

Wie kam es nur, er fuhr aus wildem Traum,
dass ihm das Feuer nie ein Glied versehrte,
das sonst in Flammenwollust stets nach Raub begehrte –
wie nah er auch am Kohlenbecken schlief?

Die Gase selbst, tödlich mit jedem Hauch,
sah er in Wölkchen über sich zerstieben.
Da schrie er auf: Du Eblis bist mein Herr,
mein Name ist ins Zauberbuch geschrieben!

*

Der Zauberer im Märchen bin ich selbst.
Er machte Licht und hob die Kerze hoch.
Sein Spiegelbild war klar und hell und mutig,
und nichts daran war unhold oder wild.

Er sah sich um. Kein Dämon trat hervor
und bot ihm Dienste an mit bitterbösem Lachen.
Da sprach der Knabe: Diesen Zaubererberuf,
weil ich nicht lichtscheu bin, will ich nun ehrlich machen.

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Gedicht: Merlin von Elisabeth Fuhrmann-Paulsen

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Merlin“ von Elisabeth Fuhrmann-Paulsen erzählt die mythische Herkunft und Entwicklung des legendären Zauberers Merlin. Es verbindet die Motive von Abstammung, innerem Konflikt und magischer Erkenntnis zu einem poetischen Porträt einer ambivalenten Figur, die zwischen Licht und Dunkelheit steht.

In den ersten Strophen wird Merlins Herkunft beschrieben: Seine Mutter, ein königliches Kind, erscheint zugleich stark und verletzlich, während sein Vater als grausame, furchteinflößende Gestalt gezeichnet wird. Die Unvereinbarkeit dieser Gegensätze spiegelt sich in Merlins Kindheit wider – er kann die Verbindung seiner Eltern nicht begreifen und empfindet ihre Gegenwart als quälend. Dies legt den Grundstein für seinen inneren Zwiespalt zwischen Heiligkeit und Schmerz.

Der mittlere Abschnitt beschreibt Merlins erste magische Erfahrungen. Schon als Kind experimentiert er mit geheimnisvollen Tränken und gerät in rauschhafte Visionen, die ihn mit Geistern und dunklen Mächten in Berührung bringen. Besonders auffällig ist, dass ihn Feuer und Gifte nicht verletzen – ein Zeichen seiner besonderen Bestimmung. Doch die Anrufung von „Eblis“, einer Gestalt aus der islamischen Mythologie, verweist darauf, dass Merlin nicht nur dem Licht, sondern auch der Gefahr der Finsternis nahe ist.

Im letzten Abschnitt wendet sich das Gedicht der Selbstfindung des Zauberers zu. Anstatt sich von dunklen Mächten leiten zu lassen, entscheidet er sich bewusst für das Licht. Der Blick in den Spiegel zeigt ihm keine dämonische Fratze, sondern ein klares, mutiges Bild seiner selbst. Damit transformiert sich die Zaubererfigur aus einem klassischen Märchencharakter hin zu einem Menschen, der seine Fähigkeiten in eine bewusste, gerechte Richtung lenkt. Das Gedicht endet mit einer fast philosophischen Erkenntnis: Wahre Magie ist nicht nur Macht, sondern auch eine Frage der moralischen Haltung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.