Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , , , , ,

Der Schloßelf

Von

In monderhellten Weihers Glanz
Liegt brütend wie ein Wasserdrach
Das Schloß mit seinem Zackenkranz,
Mit Zinnenmoos und Schuppendach.
Die alten Eichen stehn von fern,
Respektvoll flüsternd mit den Wellen,
Wie eine graue Garde gern
Sich mag um graue Herrscher stellen.

Am Tore schwenkt, ein Steinkoloß,
Der Pannerherr die Kreuzesfahn,
Und courbettierend schnaubt sein Roß
Jahrhunderte schon himmelan;
Und neben ihm, ein Tantalus,
Lechzt seit Jahrhunderten sein Docke
Gesenkten Halses nach dem Fluß,
Im dürren Schlunde Mooses Flocke.

Ob längst die Mitternacht verklang,
Im Schlosse bleibt es immer wach;
Streiflichter gleiten rasch entlang
Den Korridor und das Gemach,
Zuweilen durch des Hofes Raum
Ein hüpfendes Laternchen ziehet;
Dann horcht der Wandrer, der am Saum
Des Weihers in den Binsen knieet.

»Ave, Maria! stärke sie!
Und hilf ihr über diese Nacht!«
Ein frommer Bauer ist′s, der früh
Sich auf die Wallfahrt hat gemacht.
Wohl weiß er, was der Lichterglanz
Mag seiner gnädgen Frau bedeuten;
Und eifrig läßt den Rosenkranz
Er durch die schwielgen Finger gleiten.

Doch durch sein christliches Gebet
Manch Heidennebel schwankt und raucht;
Ob wirklich, wie die Sage geht,
Der Elf sich in den Weiher taucht,
So oft dem gräflichen Geschlecht
Der erste Sprosse wird geboren?
Der Bauer glaubt es nimmer recht,
Noch minder hätt er es verschworen.

Scheu blickt er auf – die Nacht ist klar,
Und gänzlich nicht gespensterhaft,
Gleich drüben an dem Pappelpaar
Zählt man die Zweige längs dem Schaft;
Doch stille! in dem Eichenrund –
Sind das nicht Tritte? – Kindestritte?
Er hört wie an dem harten Grund
Sich wiegen, kurz und stramm, die Schritte.

Still! still! es raschelt übern Rain,
Wie eine Hinde, die im Tau,
Beherzt gemacht vom Mondenschein,
Vorsichtig äßet längs der Au.
Der Bauer stutzt – die Nacht ist licht,
Die Blätter glänzen an dem Hagen,
Und dennoch – dennoch sieht er nicht,
Wen auf ihn zu die Schritte tragen.

Da, langsam knarrend, tut sich auf
Das schwere Heck zur rechten Hand,
Und, wieder langsam knarrend, drauf
Versinkt es in die grüne Wand.
Der Bauer ist ein frommer Christ;
Er schlägt behend des Kreuzes Zeichen;
»Und wenn du auch der Teufel bist,
Du mußt mir auf der Wallfahrt weichen!«

Da hui! streift′s ihn, federweich,
Da hui! raschelt′s in dem Grün,
Da hui! zischt es in den Teich,
Daß bläulich Schilf und Binsen glühn,
Und wie ein knisterndes Geschoß
Fährt an den Grund ein bläulich Feuer;
Im Augenblicke wo vom Schloß
Ein Schrei verzittert überm Weiher.

Der Alte hat sich vorgebeugt,
Ihm ist als schimmre, wie durch Glas,
Ein Kindesleib, phosphorisch, feucht,
Und dämmernd wie verlöschend Gas;
Ein Arm zerrinnt, ein Aug verglimmt –
Lag denn ein Glühwurm in den Binsen?
Ein langes Fadenhaar verschwimmt,
– Am Ende scheinen′s Wasserlinsen!

Der Bauer starrt, hinab, hinauf,
Bald in den Teich, bald in die Nacht;
Da klirrt ein Fenster drüben auf,
Und eine Stimme ruft mit Macht:
»Nur schnell gesattelt! schnell zur Stadt!
Gebt dem Polacken Gert und Sporen!
Viktoria! soeben hat
Die Gräfin einen Sohn geboren!«

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Schloßelf von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Schloßelf“ von Annette von Droste-Hülshoff ist eine düstere Ballade, die eine Mischung aus Romantik, Volksglauben und Mystik darstellt. Es erzählt von einem frommen Bauern, der in der Nähe eines Schlosses auf eine unheimliche Erscheinung stößt, die mit der Geburt eines Kindes in Verbindung steht. Das Gedicht ist durchzogen von Bildern der Natur, der Geschichte und der übernatürlichen Welt, was eine dichte Atmosphäre des Geheimnisvollen und des Unbekannten schafft.

Die Verse beschreiben zunächst das Schloss, das in mondbeschienenem Glanz liegt und wie ein „Wasserdrach“ wirkt, umgeben von uralten Bäumen und symbolträchtigen Figuren wie dem Pannerherrn. Diese bildreiche Darstellung etabliert die Szenerie und suggeriert eine lange Vergangenheit und die Anwesenheit verborgener Mächte. Die Erwähnung von „Elfen“ und die unheimliche Erscheinung, die der Bauer beobachtet, deuten auf eine Verbindung zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Geister oder des Übernatürlichen hin. Die wiederholten Geräusche, die der Bauer wahrnimmt („Tritte“, „Rascheln“), steigern die Spannung und das Gefühl des Unheimlichen.

Der zentrale Konflikt des Gedichts wird durch die Begegnung des Bauern mit dem Übernatürlichen ausgelöst. Seine frommen Gebete und das Bekreuzigen stehen im Kontrast zu den heidnischen Elementen der Sage und den mysteriösen Vorgängen im Teich. Die Beschreibung des Elfen, der als phosphoreszierende Erscheinung auftaucht und sich wieder auflöst, sowie der Schrei aus dem Schloss, der die Geburt eines Sohnes ankündigt, verstärken das Gefühl der Bedrohung und des Geheimnisses. Die Auflösung des Elfen, der sich als eine Art Vorbote oder Manifestation eines geheimnisvollen Wesens entpuppt, erzeugt eine beklemmende Atmosphäre, in der das Übernatürliche in die Realität eindringt.

Das Gedicht verwendet sprachliche Mittel wie Reime, Metaphern und personifizierte Elemente, um die Stimmung zu verdichten und die Leser in die Welt des Gedichts einzuziehen. Die Kontraste zwischen Licht und Schatten, zwischen dem Frommen und dem Heidnischen, zwischen Realität und Illusion, erzeugen eine Spannung, die bis zum Ende des Gedichts anhält. Die abschließende Nachricht über die Geburt des Sohnes, die gleichzeitig die Erfüllung der Prophezeiung oder des Rituals andeutet, lässt den Leser mit einem Gefühl des Unbehagens und der Frage nach der wahren Bedeutung des Geschehens zurück.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Der Schloßelf“ ein Meisterwerk der romantischen Dichtung ist, das die Themen des Volksglaubens, des Übernatürlichen und der menschlichen Ängste auf meisterhafte Weise miteinander verbindet. Es erzeugt eine faszinierende, beunruhigende und tiefgründige Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der menschlichen Existenz und der Welt um uns herum.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.