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Über die Winterlustbarkeiten in Berlin

Von

Du, dessen Auge nichts verräth
Vom Stolze, den so manche Brust bewirthet,
Durch Ordensbänder aufgebläht,
Womit sie ward umgürtet.

O A*! Dein Herz verschließt
Sich nimmer, wenn die Freuden Dich umgeben,
Der Weise braucht sie, und versüßt
Sich gern dadurch das Leben.

Dich reizt Dein Landgut, wenn im May
Die Vögel aus den schattigen Gebüschen
Mit eines Schäfers Feldschalmei
Ihr tonreich Lied vermischen.

|Und deine Rinderheerde satt
Im Blumenthal beim Bache lieblich brüllet:
Jezt aber reizt Dich Friedrichs Stadt
Mit Spiel und Tanz erfüllet.

Jezt ladet Dich der Singe-Saal
Des Helden ein, der über andre glänzet,
Wie Phöbus, wenn der goldne Strahl

Sein lokkigt Haupt bekränzet

Die Sterne ringsumher beschämt;
Hier herrschen hohe königliche Freuden,
Und selbst der Bürger, der sich grämt,
Verstaunt hier seine Leiden;

Vergißt den Mangel, der ihn drückt,
Und stürzt sich mit der zahlenlosen Menge
Ans Schauspielhaus, und wird erquickt
Vom Wohlklang der Gesänge.

Auch Du betäubest jezt in Dir
Des Ländereibesitzers kleinste Sorgen,
Bald aber lokket Dich von hier
Der Hornungs erster Morgen,

An welchem sich die Lerche schon
Hoch über Deine Saatenfelder schwinget,
Da sagt Dir ihrer Hymnen Ton
Mehr als der Sänger singet,

Dem Menschenkunst die Noten schrieb,
Und Könige zu ihrer Lust gedungen;
Der ungerührt bei Trillern blieb,
Die jedes Ohr durchdrungen:

Und einer Orgelpfeife gleicht
Die schmeichlerisch den Hörer überwindet,
Und bis zu Thränen ihn erweicht
Und selber nichts empfindet.

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Gedicht: Über die Winterlustbarkeiten in Berlin von Anna Louisa Karsch

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Über die Winterlustbarkeiten in Berlin“ von Anna Louisa Karsch ist eine Hommage an die Freuden des Berliner Winterlebens, kombiniert mit einer subtilen Reflexion über die Vergänglichkeit und die unterschiedlichen Quellen der Freude. Das Gedicht wendet sich an einen Adressaten (A*), der als weise und offener Mensch charakterisiert wird, der die Freuden des Lebens schätzt und sich nicht vom Stolz oder äußeren Zeichen der Macht blenden lässt. Karsch vergleicht das pulsierende Leben Berlins mit den Freuden des Landlebens, um die Vielfalt der menschlichen Erfahrung zu würdigen.

Das Gedicht bewegt sich zwischen zwei Polen: der ländlichen Idylle im Frühling, mit Vogelgesang und brüllenden Kühen, und dem winterlichen Vergnügen in der Stadt Berlin, mit ihren Theatern, Konzertsälen und dem Glanz der königlichen Freuden. Karsch preist die Fähigkeit des Adressaten, sich an beiden Lebenswelten zu erfreuen und die flüchtigen Freuden des Augenblicks zu genießen. Sie hebt die Ablenkung vom Alltag hervor, die das Theater und die Musik bieten, und wie sie sogar den Kummer der Bürger vergessen lassen. Die Betonung liegt auf der Fähigkeit des Menschen, sich im Wechsel der Jahreszeiten und in verschiedenen Umgebungen zu erfreuen.

In der zweiten Hälfte des Gedichts kippt die Stimmung, und Karsch deutet die Grenzen der künstlichen Freuden an. Sie vergleicht die Musik der Sänger mit einer Orgelpfeife, die den Hörer zwar betören kann, aber letztlich unpersönlich und ohne wahre Empfindung ist. Der wahre Genuss, so scheint es, liegt in der Natur, in der Stimme der Lerche über den Feldern, die mehr sagt als alle Kunst. Dies ist ein Hinweis auf die Überlegenheit der natürlichen, authentischen Erfahrung gegenüber den künstlich geschaffenen Freuden der Stadt.

Das Gedicht reflektiert über die duale Natur des menschlichen Vergnügens. Einerseits die Vergänglichkeit und das künstliche der städtischen Unterhaltung, andererseits die bleibende Schönheit und die wahre Freude der Natur. Karsch fordert ihren Adressaten auf, sich nicht ausschließlich von den Glitzer der Stadt blenden zu lassen, sondern auch die einfachen Freuden der Natur zu schätzen, die tiefere, nachhaltigere Befriedigung bieten. Das Gedicht ist eine Einladung, das Leben in seiner ganzen Vielfalt zu erfahren und die wahre Quelle des Glücks zu erkennen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.