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Hamlet

Von

Deutschland ist Hamlet! Ernst und stumm
In seinen Toren jede Nacht
Geht die begrabne Freiheit um
Und winkt den Männern auf der Wacht.
Dasteht die Hohe, blank bewehrt,
Und sagt dem zaudrer, der noch zweifelt:
„Sei mir ein Rächer, zieh dein Schwert!
Man hat mir Gift ins Ohr geträufelt!“

Er horcht mit zitterndem Gebein,
Bis ihm die Wahrheit schrecklich tagt;
Von Stund‘ an will er Rächer sein –
Ob er es wirklich endlich wagt?
Er sinnt und träumt und weiß nicht Rat;
Kein Mittel, das die Brust ihm stähle!
Zu einer frischen, mut’gen Tat
Fehlt ihm die frische, mut’ge Seele!

Das macht, er hat zu viel gehockt;
Er lag und las zu viel im Bett.
Er wurde, weil das Blut ihm stockt,
Zu kurz von Atem und zu fett.
Er spann zu viel gelehrten Werg,
Sein bestes Tun ist eben Denken;
Er stak zu lang in Wittenberg,
Im Hörsaal oder in den Schenken.

Drum fehlt ihm die Entschlossenheit;
Kommt Zeit, kommt Rat – er stellt sich toll,
Hält Monologe lang und breit,
Und biringt in Verse Groll;
Stutzt ihn zur Pantomime zu,
Und fällt’s ihm einmal ein zu fechten:
So muß Polonius-Kotzebue
Den Stich empfangen – statt des Rechten.

So trägt er träumerisch sein Weh,
Verhöhnt sich selber insgeheim,
Läßt sich verschicken über See,
Und kehrt mit Stichelreden heim;
Verschießt ein Arsenla von Spott,
Spricht von geflickten Lumpenkön’gen –
Doch eine Tat! Behüte Gott!
Nie hatt‘ er eine zu beschön’gen!

Bis endlich er die Klinge packt,
Ernst zu erfüllen seinen Schwur;
Doch ach – das ist im letzten Akt
Und streckt ihn selbst zu Boden nur!
Bei den Erschlagnen, die sein Haß
Preisgab der Schmach und dem Verderben,
Liegt er entseelt, und Fortinbras
Rückt klirrend ein, das Reich zu erben. –

Gottlob! noch sind wir nicht so weit!
Vier Akte sahn wir spielen erst!
Hab‘ acht, Held, daß die Ähnlichkeit
Nicht auch im fünften du bewährst!
Wir hoffen früh, wir hoffen spät:
O, raff‘ dich auf und komm zu Streiche,
Und hilf entschlossen, weil es geht,
Zu ihrem Recht der flehnden Leiche!

Mach‘ den Moment zunutze dir!
Noch ist es Zeit – drein mit dem Schwert,
Eh‘ mit französischem Rapier
Dich schnöd vergiftet ein Laert!
Eh‘ rasselnd naht ein nordisch Heer,
Daß es für sich die Erbschaft nehme!
O, sieh dich vor – ich zweifle sehr,
Ob diesmal es aus Norweg käme!

Nur ein Entschluß! Aufsteht die Bahn –
Tritt in die Schranken kühn und dreist!
Denk‘ an den Schwur, den du getan,
Und räche deines Vaters Geist!
Wozu dieses Grübeln für und für?
Doch – darf ich schelten, alter Träumer?
Bin ich ha selbst ein Stück von dir,
Du ew’ger Zauderer und Säumer!

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Gedicht: Hamlet von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Hamlet“ von Ferdinand Freiligrath setzt Shakespeares tragischen Helden als Allegorie für Deutschland ein. Es beschreibt das Land als eine Figur, die zwischen Erkenntnis und Handlung verharrt, gefangen in Zweifel und Unentschlossenheit. Die „begrabne Freiheit“ erscheint als Geist, der die Deutschen mahnt, aktiv zu werden und sich gegen das Unrecht zu erheben – doch anstatt zu handeln, zögert das Land wie Hamlet selbst.

Freiligrath kritisiert vor allem die intellektuelle Lethargie und das endlose Grübeln, das die Tatkraft lähmt. Deutschland, wie Hamlet, hat „zu viel gehockt“, zu viel nachgedacht und sich in Theorien und Spott geflüchtet, anstatt entschieden gegen Unterdrückung vorzugehen. Selbst wenn es zu einem Schlag ausholt, trifft es nur die Falschen – ein klarer Verweis auf politische Fehlschläge und ziellose Revolten. Die Angst, dass Deutschland am Ende seines Zauderns zu spät handelt und dann selbst untergeht, durchzieht das ganze Gedicht.

Doch noch sei der fünfte Akt nicht erreicht, mahnt der Dichter. Er appelliert an sein Land, sich endlich zu entschließen, bevor äußere Mächte – symbolisiert durch „Fortinbras“ – das Erbe an sich reißen. Die Warnung vor einem „nordischen Heer“, das diesmal nicht aus Norwegen käme, lässt sich als Hinweis auf drohende Fremdherrschaft deuten. Am Ende erkennt Freiligrath jedoch, dass er selbst Teil dieses ewigen Zögerns ist, womit er nicht nur sein Land, sondern auch die eigene Rolle als Dichter selbstkritisch hinterfragt. Das Gedicht ist somit zugleich Anklage, Appell und ein Stück bitterer Selbstreflexion.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.