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Der Blume Rache

Von

Auf des Lagers weichem Kissen
Ruht die Jungfrau, schlafbefangen,
Tiefgesenkt die braune Wimper,
Purpur auf den heißen Wangen.

Schimmernd auf dem Binsenstuhle
Steht der Kelch, der reichgeschmückte,
Und im Kelche prangen Blumen,
Duft’ge, bunte, frischgepflückte.

Brütend hat sich dumpfe Schwüle,
Durch das Kämmerlein ergossen,
Denn der Sommer scheucht die Kühle,
Und die Fenster sind verschlossen.

Stille rings und tiefes Schweigen!
Plötzlich, horch! Ein leises Flüstern!
In den Blumen, in den Zweigen
Lispelt es und rauscht es lüstern.

Aus den Blütenkelchen schweben
Geistergleiche Duftgebilde;
Ihre Kleider zarte Nebel,
Kronen tragen sie und Schilde.

Aus dem Purpurschoß der Rose
Hebt sich eine schlanke Frau;
Ihre Locken flattern lose,
Perlen blitzen drin wie Tau.

Aus dem Helm des Eisenhutes
Mit dem dunkelgrünen Laube
Tritt ein Ritter kecken Mutes:
Schwert erglänzt und Pickelhaube.

Auf der Haube nickt die Feder
Von dem silbergrauen Reiher.
Aus der Lilie schwankt ein Mädchen;
Dünn wie Spinnweb ist ihr Schleier.

Aus dem Kelch des Türkenbundes
Kommt ein Neger stolz gezogen;
Licht auf seinem grünen Turban
Glüht des Halbmonds goldner Bogen.

Prangend aus der Kaiserkrone
Schreitet kühn ein Zepterträger;
Aus der blauen Iris folgen
Schwertbewaffnet seine Jäger.

Aus den Blättern der Narzisse
Schwebt ein Knab‘ mit düstern Blicken,
Tritt ans Bett, um heiße Küsse
Auf des Mädchens Mund zu drücken.

Doch ums Lager drehn und schwingen
Sich die andern wild im Kreise;
Drehn und schwingen sich und singen
Der Entschlafnen diese Weise:

„Mädchen, Mädchen! von der Erde
Hast du grausam uns gerissen,
Daß wir in der bunten Scherbe
Schmachten, welken, sterben müssen!

O wie, ruhten wir so selig
An der Erde Mutterbrüsten,
Wo, durch grüne Wipfel brechend,
Sonnenstrahlen heiß uns küßten;

Wo uns Lenzeslüfte kühlten,
Unsre schwanken Stengel beugend,
Wo wir nachts als Elfen spielten,
Unserm Blätterhaus entsteigend.

Hell umfloss uns Tau und Regen;
Jetzt umfließt uns trübe Lache;
Wir verblühn, doch eh‘ wir sterben,
Mädchen! Trifft dich unsre Rache!“

Der Gesang verstummt; sie neigen
Sich zu der Entschlafnen nieder.
Mit dem alten dumpfen Schweigen
Kehrt das leise Flüstern wieder.

Welch ein Rauschen, welch ein Raunen;
Wie des Mädchens Wangen glühen!
Wie die Geister es anhauchen!
Wie die Düfte wallend ziehen!

Da begrüßt der Sonne Funkeln
Das Gemach; die Schemen weichen.
Auf des Lagers Kissen schlummert
Kalt die lieblichste der Leichen.

Eine welke Blume selber,
Noch die Wange sanft gerötet,
Ruht sie bei den welken Schwestern –
Blumenduft hat sie getötet!


Disclaimer: Historische Einordnung

Dieses Gedicht entstand in einer früheren historischen Epoche und enthält Begriffe oder Darstellungen, die aus heutiger Sicht als diskriminierend, verletzend oder nicht mehr zeitgemäß gelten. Die Veröffentlichung erfolgt ausschließlich zu literatur- und kulturhistorischen Zwecken sowie zur Förderung einer kritischen Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Text und seiner Zeit. Die problematischen Inhalte spiegeln nicht die heutige Haltung der Herausgeber wider, sondern sind Teil des historischen Kontextes, der zur Reflexion über den Wandel von Sprache, Werten und gesellschaftlichen Normen anregen soll.


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Gedicht: Der Blume Rache von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht *Der Blume Rache* von Ferdinand Freiligrath ist eine düster-romantische Ballade, die die Vergänglichkeit der Schönheit und die Rache der Natur thematisiert. Es erzählt von einer jungen Frau, die in einem schwülen Sommerzimmer schläft, umgeben von frisch gepflückten Blumen in einem Kelch. Doch die scheinbare Idylle schlägt in Unheil um, als die Blumen zu geisterhaften Wesen werden und sich für ihr entrissenes Leben rächen.

Die zentrale Metapher des Gedichts ist die personifizierte Natur. Die Blumen erscheinen als mystische Gestalten – Ritter, Prinzessinnen, Jäger – die sich um das Schlaflager der Jungfrau versammeln. Ihr Gesang klagt über ihre gewaltsame Trennung von der Erde und kündigt die bevorstehende Rache an. Diese Szene verstärkt die romantische Vorstellung, dass die Natur eine eigene Seele und Macht besitzt, die sich gegen den Menschen wenden kann.

Die Atmosphäre ist durchgehend von einem unheilvollen, traumartigen Sog geprägt. Während anfangs noch eine friedliche Ruhe herrscht, steigert sich die Spannung mit dem Raunen, Flüstern und Rauschen der Blumen-Geister. Die düstere Wende kommt schließlich mit dem Morgengrauen: Die junge Frau ist tot, ihr Leben vom betörenden Blumenduft erstickt. In dieser grausamen Schlusspointe verschmilzt das Motiv der Schönheit mit dem des Todes – die einst Lebendige wird selbst zu einer „welken Blume“ unter ihren toten Schwestern. So vereint das Gedicht Naturmystik, Schicksalshaftigkeit und morbide Romantik in einer eindringlichen Bildsprache.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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