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Aus dem Schlesischen Gebirge

Von

„Nun werden grün die Brombeerhecken;
Hier schon ein Veilchen – welch ein Fest!
Die Amsel sucht sich dürre Stecken,
Und auch der Buchfink baut sein Nest.
Der Schnee ist überall gewichen,
Die Koppe nur sieht weiß ins Tal;
Ich habe mich von Haus geschlichen,
Hier ist der Ort – ich wag’s ein einmal:
Rübezahl!

Hört‘ er’s? ich seh‘ ihm dreist entgegen!
Er ist nicht bös! Auf diesen Block
Will ich mein Leinwandpäckchen legen –
Es ist ein richt’ges volles Schock!
Und fein! Ja, dafür kann ich stehen!
Kein beßres wird geweht im Tal –
Er läßt sich immer noch nicht sehen!
Drum frischen Mutes noch einmal:
Rübezahl!

Kein Laut! – Ich bin ins Holz gegangen,
Daß er uns hilft in unsrer Not!
O, meiner Mutter blasse Wangen –
Im ganzen Haus kein Stückchen Brot!
Der Vater schritt zu Markt mit Fluchen –
Fänd‘ er auch Käufer nur einmal!
Ich will’s mit Rübezahl versuchen –
Wo bleibt er nur? Zum drittenmal:
Rübezahl!

Er half so vielen schon vorzeiten –
Großmutter hat mir’s oft erzählt!
Ja, er ist gut den armen Leuten,
Die unverschuldet Elend quält!
So bin ich froh denn hergelaufen
Mit meiner richt’gen Ellenzahl!
Ich will nicht betteln, will verkaufen!
O, daß er käme! Rübezahl!
Rübezahl!

Wenn dieses Päckchen ihm gefiele,
Vielleicht gar bät‘ er mehr sich aus!
Das wär‘ mir recht! Ach, gar zu viele,
Gleich schöne liegen noch zu Haus!
Die nähm‘ er alle bis zum letzten!
Ach, fiel auf dies doch seine Wahl!
Da löst‘ ich ein selbst die versetzten –
Das wär‘ ein Jubel! Rübezahl!
Rübezahl!

Dann trät‘ ich froh ins kleine Zimmer,
Und riefe: Vater, Geld genug!
Dann flucht‘ er nicht, dann sagt‘ er nimmer:
Ich web‘ euch nur ein Hungertuch!
Dann lächelte die Mutter wieder,
Und tischt‘ uns auf ein reichlich Mahl;
Dann jauchzten meine kleinen Brüder –
O käm‘, o käm‘ er! Rübezahl!
Rübezahl!“

So rief der dreizehnjähr’ge Knabe;
So stand und rief er, matt und bleich.
Umsonst! Nur dann und wann ein Rabe
Flog durch des Gnomen altes Reich.
So stand und paßt‘ er Stund‘ auf Stunde,
Bis daß es dunkel ward im Tal,
Und er halblaut mit zuckendem Munde
Ausrief durch Tränen noch einmal:
Rübezahl!

Dann ließ er still das buschige Fleckchen,
Und zitterte und sagte: Hu!
Und schritt mit seinem Leinwandpäckchen
Dem Jammer seiner Heimat zu.
Oft ruht‘ er aus auf moos’gen Steinen,
Matt von der Bürde, die er trug.
Ich glaub‘, sein Vater webt dem Kleinen
Zum Hunger- bald das Leichentuch!
– Rübezahl?!

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Gedicht: Aus dem Schlesischen Gebirge von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Aus dem Schlesischen Gebirge“ von Ferdinand Freiligrath erzählt in eindringlichen Bildern von der Armut einer Familie und der kindlichen Hoffnung auf ein Wunder. Der Junge, der verzweifelt den Berggeist Rübezahl um Hilfe ruft, steht dabei symbolisch für die Not der einfachen Leute, die auf eine Rettung aus ihrem Elend hoffen. Doch seine Rufe verhallen ungehört, und am Ende bleibt nur die bittere Realität der Armut.

Freiligrath setzt in der Ballade einen starken Kontrast zwischen der erwachenden, frühlingshaften Natur und der verzweifelten Lage des Jungen. Während die Amseln Nester bauen und der Schnee schmilzt, kämpft seine Familie ums Überleben. Der Junge versucht, durch den Verkauf des selbstgewebten Leinens eine Lösung zu finden – doch der Markt ist ungewiss, und sein Vater verzweifelt an der Aussichtslosigkeit des Handels. In seiner kindlichen Naivität glaubt er an die Gerechtigkeit und Güte des Sagengestalts Rübezahl, den er mit wachsender Dringlichkeit anruft.

Doch das Wunder bleibt aus. Statt der ersehnten Hilfe begegnet ihm nur die Stille des Waldes. Die Wiederholung des Namens „Rübezahl“ verstärkt die flehende Hoffnung, die schließlich in Resignation umschlägt. Als er schließlich mit seinem Päckchen unverrichteter Dinge heimkehrt, wird sein Schicksal fast schon unausweichlich: Der letzte Vers deutet an, dass seine Zukunft von Hunger und Krankheit überschattet sein wird. Die düstere Wendung des Gedichts zeigt die grausame Realität sozialer Ungerechtigkeit und macht „Aus dem Schlesischen Gebirge“ zu einer ergreifenden Anklage gegen die Armut und die Unbarmherzigkeit der Welt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.