Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , , ,

Dem Censor

Von

Manchen Priester kennt die Sage, der, ein Held genannt mit Fug,
Durch die Welt das Wort der Wahrheit kühn und unaufhaltsam trug,
Der im Königssaal gerufen: Pfui, ich witt’re Kerkerluft!
Und es manch’ besterntem Heuchler laut gesagt: Du bist ein Schuft!

Wär’ ich solch ein Held der Wahrheit, mit dem Mönchkleid angethan,
Alsbald an des Censors Wohnung trieb’ es mich zu pochen an;
Und ich spräche zu dem Manne: »Erzschelm, sink’ aufs Knie zur Stell’!
Denn du bist ein großer Sünder, beichte und bekenne schnell!«

»Und ich hör’ es schon im Geiste, wie er drauf in Unschuld spricht:
Ihr’ Ehrwürden sind im Irrthum! der Gesuchte bin ich nicht!
Ich versäume keine Messe, Amt und Pflicht verseh’ ich gut!
Bin kein Hurer, Gottesläst’rer, Mörder, Dieb, ungläub’ger Jud’!

Doch aus mir dann bräche flammend der Begeist’rung Gluth hervor
Wie durch Berg und Kluft der Donner, dröhnt’ ihm meine Stimm’ ans Ohr;
Jeder Blick entflöge tödtend ihm als Pfeil ins Herz hinein,
Jedes Wort, es müßt’ ein Hammer, der ihn ganz zermalme, sein:

Ja, du bist ein blinder Jude! denn du hast’s noch nicht erkannt,
Daß des Geistes Freiheit glorreich als Messias uns erstand!
Ja, du bist ein blut’ger Mörder! doppelt arg und doppelt dreist!
Nur die Leiber tödtet jener, doch du mordest auch den Geist!

Ja, du bist ein Dieb, ein arger, oder noch viel schlimmer, traun!
Obst vom Baum bei Nacht zu stehlen, schwingt sich jener übern Zaun;
In des Menschengeistes Garten, schadenfroh mit einem Streich,
Willst den ganzen Baum du fällen, Blüthe, Laub und Frucht zugleich!

Ja, du bist ein Ehebrecher! doch an Schande doppelt reich!
Jener glüht und flammt fürs Schöne, blüht’s in fremdem Garten gleich;
Für die schöne, stolze Sünde ist dein Herz zu klein, zu schmal!
Und der Nacht und Nebel Dirne, die nur ist dein Ideal!

Ja, du bist ein Gottesläst’rer, oder ärger noch, bei Gott!
Todte Holz- und Marmorbilder schlägt in Trümmer frech sein Spott!
Deine Hand doch ist’s, die ruchlos das lebend’ge Bild zerschlägt!
Das nach Gottes heil’gem Stempel Menschengeist hat ausgeprägt!

Ja, du bist ein großer Sünder! – Frei läßt irdisch Recht dich geh’n,
Doch in deinem Busen drinnen Rad und Galgen mußt du seh’n,
An die Brust drum schlage reuig, und dein Knie, es beuge sich!
Thue Buß’! Aufs Haupt streu’ Asche! Zieh’ dahin, und beßre dich!«

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Dem Censor von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Dem Censor“ von Anastasius Grün ist eine leidenschaftliche Anklage gegen die Zensur und ihre zerstörerische Wirkung auf die Freiheit des Geistes. Es präsentiert einen fiktiven Monolog, in dem der Dichter sich vorstellt, wie er einen Zensor, stellvertretend für die staatliche Überwachung und Unterdrückung von Meinungen, mit drastischen Worten konfrontieren würde. Die Sprache ist direkt, bildhaft und von hoher emotionaler Intensität, was die tiefe Empörung des Autors über die Zensur verdeutlicht.

Grün greift auf eine rhetorische Technik zurück, indem er dem Zensor zunächst vorwirft, er wäre kein wahrhaftiger Sünder, da er äußerlich die Gebote der Religion beachtet. Doch im Verlauf des Gedichts entlarvt er den Zensor als eine noch größere Bedrohung, da dieser nicht nur die äußeren moralischen Werte verletzt, sondern auch den Geist des Menschen durch die Unterdrückung von Gedanken und Ideen tötet. Die Metaphern sind kraftvoll und vielfältig: Der Zensor wird mit einem Mörder, Dieb, Ehebrecher und Gotteslästerer verglichen, was die Schwere seiner Tat unterstreicht.

Besonders eindrucksvoll ist die Verwendung von Bildern, die die Zerstörung veranschaulichen, die durch die Zensur angerichtet wird. Der Zensor wird als jemand dargestellt, der den „Baum“ des Geistes fällen und dessen „Blüte, Laub und Frucht“ zerstören will. Er ist ein „blut’ger Mörder“, der nicht nur den Körper, sondern auch den Geist tötet. Er ist ein „Dieb“, der die Freiheit des Geistes stiehlt. Indem Grün den Zensor in so radikaler Weise verurteilt, enthüllt er dessen wahre Natur als Feind der menschlichen Freiheit und des Fortschritts.

Die Botschaft des Gedichts ist klar und unmissverständlich: Die Zensur ist ein Angriff auf die Grundfesten der menschlichen Existenz. Sie tötet die Gedanken, die Kreativität, die Entfaltung des Geistes. Grün plädiert für die Freiheit des Denkens und die Notwendigkeit, die Zensur zu bekämpfen, um die Entwicklung einer freien und aufgeklärten Gesellschaft zu ermöglichen. Das Gedicht endet mit einem Appell an den Zensor, Buße zu tun und sich zu bessern, was letztlich ein Aufruf zur Veränderung und zur Überwindung der Unterdrückung darstellt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.