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Alte Geschichten!

Von

In dem Bürgerzeughaus blinkt es von Gewehren mannigfalt,
Waffen aller Zeiten glänzen, wie Annalen der Gewalt;
Stahl an Stahl rings an den Wänden: seltener Tapetenschmuck!
Erz auf Erz an Säul’ und Decke: wohl ein sondrer ehrner Stuck!

Manch ein blanker Heldenpanzer, manch ein fürstliches Gewand:
Oede Häuser, deren Eigner ausgewandert aus dem Land!
Manch ein rostend Schwert der Tapfern, manch ein schlankgereckter Speer:
Ruder ohne Steuermänner in des Krieges blut’gem Meer!

Bünde von Musketenläufen sind zu Säulen blank gedreht:
Wehe, wenn des Staats Gebäude nur auf solchen Säulen steht!
Bajonnet und Säbel formen schwebend dort den Kaiseraar.
Sei nur hier allein von Eisen, hoher Adler, immerdar!

Wenn im Streit der Fürstenrechte Waffen sind der letzte Grund
Und ihr Codex Kriegestrommeln, Rechtsfreund der Kanonenschlund,
Schwerter ihre Syllogismen, ihr Beweis das Bajonnet,
O dann wohnt in diesen Sälen eine ganze Fakultät! –

Horch, vom glatten Marmorpflaster hallt schaulust’ger Fremder Tritt!
Sieh das zungenfert’ge Männlein, schreitend stolz als Herold mit,
Jedem Panzer sein Geschichtchen, jedem hohen Haupt ein Kleid,
Schlachten jedem Helm und Banner, Helden jedem Schwert bereit!

Dort die Nische zeigt ein Kästlein, abenteuerlich geschmückt,
Draus, von seinem Rumpf geschieden, hohlen Augs ein Schädel blickt,
Eine rothe Schnur daneben, kündend blutiges Gericht!
Jetzt erfaßt den Kopf das Männlein, hebt ihn hoch empor und spricht:

»Wien, erkennst du diesen Schädel, dem du schaudernd einst gebebt,
Als er Wohnung noch des Geistes, der vernichtet und begräbt?
Kara Mustapha, der Wessir, sank er in Vergessenheit?
Wohl sind’s an zweihundert Jahre, wahrlich schon geraume Zeit!

Denkst du’s nicht, wie er zerrieben deines Bollwerks treu Gestein,
Wie er’s schwur, zu weichen nimmer, bis er zög’ in dich hinein?
Und sein Eid, er fand Erfüllung! Doch des Schicksals Spott ist schwer:
Seht, wie er hereingekommen! – Es ist deß schon lange her.

Türken rings im Feld gelagert: arge Schnitter unsrer Saat,
Türken rings in Rebenhügeln: karge Winzer, in der That!
Gottlob, daß wir jenes Kornes, jenes Weins nicht warten mehr!
Schmal ging’s da um Trank und Speise! – Ei, das ist schon lange her!

Wien, o Wien, du bist verloren! Weh’ dir, tapfre Heldenschaar!
Stark wohl war im Wald der Eichbaum, doch der Sturm noch stärker war!
Fest stand der gewalt’ge Felsen, doch gewalt’ger war das Meer!
Wien, o Wien, du bist verloren! – Doch das ist schon lange her.

Sieh, da steigt ein Stern zur Höhe: – die Signal-Rakete kracht! –
Wird zum lohen Flammenschwerte, fegend rings der Heiden Macht,
Wird zum Regenbogen, kündend heitren Himmels Wiederkehr!
Wien, o Wien, du bist gerettet! – Dessen ist’s wohl lange her.

Von den Bergen rauscht und blinkt es, Quellen gleich im Sonnenstrahl,
Traun, ein Katarakt von Helden, stürzend auf den Feind im Thal,
Wie ein Samum Gottes, jagend ihn als Spreu im Wind umher!
Wien, o Wien, du bist gerettet! – Ja, das ist schon lange her!

Und wie hießen sie, die Sieger, so voll hohem Geist und Muth?
Polen, glaub’ ich, sind’s gewesen, die für uns verspritzt ihr Blut,
Und ein sichrer Sobieski Steuermann im Kampfesmeer!
Namen sind gar leicht vergessen, – es ist ja schon lange her!

Als er siegreich eingeritten, ward des Volks zu eng der Raum,
Jubel rufend und ihm küssend Hände und des Kleides Saum:
Unsrer Kinder Blut, o Polen, sei euch unsres Danks Gewähr!
Also Wien ihm dankbar jauchzte, – dessen ist schon lange her!

Drauf der Fürst: Empfangt ein Denkmal dieses Tags aus meiner Hand:
Dieses Schwert, das für euch kämpfte, dieß Panier, das für euch stand!
Polens Adler, Deutschlands Adler, seid geschieden nimmermehr! –
Seht, dort hängt noch Schwert und Banner, es ist deß schon lange her.

Kaiser Leopoldus tafelnd, warm die Hand dem Polen bot:
Krone, Reich und Volk gerettet hast du mir aus Kampf und Noth,
Daß gedeih’n einst, wachsen, blühen fröhlich mag mein Oesterreich,
Stark, den eignen Herd zu schirmen und manch lieben Freund zugleich!

Dir nur dankt es einst mein Enkel, daß sein Arm von Ketten frei,
Daß er kein beschorner Sklave, kein beschnittner Heide sei,
Daß des alten Gottes Dome noch des Kreuzes Glorie krönt,
Daß sein Wappenaar noch steiget, daß noch seine Sprache tönt;

Daß, statt schalen Wassers, würzen solch ein Wein noch darf sein Mahl,
Dessen Goldborns voll ich weihend jetzt dir bringe den Pokal:
Polen hoch für jetzt und immer! hoch an Freiheit, Macht und Ehr’! –
Also sprach der deutsche Kaiser, – dessen ist’s schon lange her.«

Cicero trat von der Bühne, Cicerone aus dem Saal.
Ob das Männchen nie getafelt, horchend, an des Kanzlers Mahl? –
Sieh, da schüttelt, gleich als wollte etwas ihm nicht recht zu Hirn,
Jener gelbe Türkenschädel, voll des Unmuths, seine Stirn;

Gleich als wollt’ es wieder fechten, rasselt Sobieski’s Schwert,
Rauschend aus dem rothen Banner fast der weiße Adler fährt,
Gleich als wollt’ er glorreich schwingen sich ins Morgenroth hinein,
Wie sein Heldenvolk im Kampfe, kraftvoll, muthig und – allein!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Alte Geschichten! von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Alte Geschichten!“ von Anastasius Grün ist eine Reflexion über die Vergangenheit, insbesondere über die Verteidigung Wiens gegen die Türkenbelagerung im 17. Jahrhundert, und über die Vergänglichkeit von Ruhm und Erinnerung. Es wird ein Bürgerzeughaus als Schauplatz gewählt, in dem Waffen aus verschiedenen Epochen ausgestellt sind, die als stille Zeugen vergangener Schlachten und Konflikte fungieren. Der Kontrast zwischen der Pracht der Waffen und dem Wissen um die Toten und die verlorene Zeit bildet einen zentralen Aspekt des Gedichts.

Die Interpretation des Gedichts ist von einer ironischen Distanz geprägt. Der Erzähler betrachtet die ausgestellten Waffen, die einst im Kampf eingesetzt wurden, und stellt fest, dass sie nun in einem Museum ausgestellt sind und Teil der Geschichte geworden sind. Die wiederholte Phrase „es ist schon lange her“ verdeutlicht die Entfernung zur Vergangenheit und die relative Bedeutungslosigkeit der Ereignisse für die Gegenwart. Die glorreichen Helden, die in den Schlachten kämpften, und die Details der Kämpfe scheinen mit der Zeit verblasst zu sein, da die Namen und Geschehnisse aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind.

Das Gedicht befasst sich auch mit der Rolle der Erinnerung und der Art und Weise, wie die Geschichte interpretiert und präsentiert wird. Die Führung durch das Zeughaus, angeführt von einem „zungenfert’gen Männlein“, das Geschichten über die Waffen und die Helden erzählt, unterstreicht die Tendenz, die Vergangenheit zu romantisieren und zu glorifizieren. Durch diese Inszenierung wird die Vergangenheit in eine Art Spektakel verwandelt, in dem die tragischen Aspekte des Krieges verdrängt werden, um Heldenmut und Ruhm hervorzuheben. Die letzte Strophe, in der ein Türkenschädel im Museum seinen Unmut über die glorreiche Darstellung der Vergangenheit zeigt, wirft einen kritischen Blick auf diese Geschichtsdarstellung, indem es die Perspektive der Verlierer einnimmt und die Grausamkeit des Krieges ins Bewusstsein ruft.

Die Verwendung des Dialogs, insbesondere zwischen dem Erzähler und den Figuren der Vergangenheit, wie Kaiser Leopoldus und dem polnischen Helden Sobieski, verleiht dem Gedicht eine theatralische Qualität. Dieser Dialog beleuchtet die Komplexität der Geschichte und die unterschiedlichen Perspektiven, die man auf sie haben kann. Die Huldigung des Kaisers an die polnischen Verbündeten und die anschließende Erkenntnis, dass selbst diese Dankbarkeit und das gemeinsame Schicksal dem Vergessen anheimfallen, verdeutlicht die Unbeständigkeit menschlicher Beziehungen und die Kurzlebigkeit von Ruhm und politischer Zusammenarbeit. Das Gedicht wird somit zu einer Reflexion über die Bedeutung der Geschichte, die Art und Weise, wie sie erinnert wird, und die Vergänglichkeit von Ruhm, Macht und sogar von Nationen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.