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Lokomotive

Von

Da liegt das zwanzigmeterlange Tier,
Die Dampfmaschine,
Auf blankgeschliffner Schiene,
Voll heißer Wut und sprungbereiter Gier –
Da lauert, liegt das langgestreckte Eisen-Biest –
Sieh da: wie Öl- und Wasserschweiß,
Wie Lebensblut, gefährlich heiß,
Ihm aus den Radgestängen, den offnen Weichen, fließt;
Es liegt auf sechzehn roten Räder-Pranken,
Wie fiebernd, langgeduckt zum Sprunge,
Und Fieberdampf stößt röchelnd aus den Flanken.
Es kocht und kocht die Röhrenlunge –
Den ganzen Rumpf die Feuerkraft durchzittert,
Er ächzt und siedet, zischt und hackt
Im hastigen Dampf- und Eisentakt –
Dein Menschenwort wie nichts im Qualm zerflittert.
Das Schnauben wächst und wächst –
Du stummer Mensch erschreckst –
Du siehst die Wut aus allen Ritzen gären –
Der Kesselröhren-Atemdampf
Ist hochgewühlt auf sechzehn Atmosphären:
Gewalt hat jetzt der heiße Krampf:
Das Biest, es brüllt, das Biest, es brüllt,
Der Führer ist in Dampf gehüllt –
Der Regulatorhebel steigt nach links:
Der Eisen-Stier harrt dieses Winks!
Nun bafft vom Rauchrohr Kraftgeschnauf:
Nun springt es auf! nun springt es auf!

Doch:

Ruhig gleiten und kreisen auf endloser Schiene
Die treibenden Räder hinaus auf dem blänkernden Band,
Gemessen und massig die kraftangefüllte Maschine,
Der schleppende, stampfende Rumpf hinterher –

Dahinter – ein dunkler – verschwimmender Punkt –
Darüber – zerflatternder – Qualm –

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Gedicht: Lokomotive von Gerrit Engelke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lokomotive“ von Gerrit Engelke ist eine kraftvolle, fast mythische Beschreibung einer Dampflokomotive, die als lebendiges, animalisches Wesen dargestellt wird. Engelke nutzt eine eindringliche Bildsprache, um die Maschine zu personifizieren: Die Lokomotive erscheint als „zwanzigmeterlanges Tier“ mit „sechzehn roten Räder-Pranken“, das voller „heißer Wut“ auf seinen Sprung wartet. Diese Metaphorik verstärkt den Eindruck von roher, unbändiger Kraft, die sich in der Maschine sammelt.

Die Spannung baut sich durch eine dynamische Sprache auf. Der Dampf, das Schnauben, das Kochen und Röcheln der Lokomotive lassen sie wie ein Wesen aus Fleisch und Blut erscheinen, das vor Energie fast berstet. Der Moment des Aufbruchs wird dramatisch inszeniert: „Das Biest, es brüllt, das Biest, es brüllt“ – ein kraftvoller, fast bedrohlicher Ausbruch mechanischer Gewalt. Engelke zeigt hier nicht nur die Faszination für Technik, sondern auch die Ehrfurcht vor der ungezügelten Macht der Maschine.

Doch nach diesem explosiven Start folgt eine überraschende Wendung: Die Bewegung der Lokomotive wird ruhig und gleichmäßig, „gemessen und massig“. Das, was zunächst als unkontrollierbare Urgewalt erschien, folgt nun einem präzisen, vorherbestimmten Rhythmus. Am Ende bleibt nur ein „dunkler, verschwimmender Punkt“ und der „zerflatternde Qualm“ – ein Sinnbild für Vergänglichkeit und die Flüchtigkeit der Geschwindigkeit. Engelkes Gedicht verbindet Technikbegeisterung mit einer fast ehrfürchtigen Betrachtung der Mechanik, wobei es zwischen ungebändigter Kraft und geordneter Bewegung oszilliert.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.