Die Droschke
Ein Wagen steht vor einer finstern Schänke.
Das viele Mondlicht wird dem Pferd zu schwer.
Die Droschke und die Gassenflucht sind leer;
Oft stampft das Tier, daß seiner wer gedenke.
Es halten diese Mähre halb nur die Gelenke,
Denn an der Deichsel hängt sie immer mehr.
Sie baumelt mit dem Kopfe hin und her,
Daß sie zum Warten sich zusammenrenke.
Aus ihrem Traume scheucht sie das Gezanke
Und oft das geile Lachen aus der Schenke.
Da macht sie einen Schritt, zur Fahrt bereit.
Dann meint sie schlafhaft, daß sie heimwärtslenke
Und hängt sich an sich selbst aus Schläfrigkeit,
Noch einmal poltern da die Droschkenbänke.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Droschke“ von Theodor Däubler entwirft ein melancholisch-verlorenes Bild städtischer Nachtstimmung. Im Zentrum steht ein altersschwaches, erschöpftes Droschkenpferd, das in der Dunkelheit vor einer Schänke wartet – scheinbar vergessen, seinem Schicksal überlassen. Der Blick auf dieses Tier wird zur stillen, doch eindringlichen Metapher für Müdigkeit, Vergeblichkeit und den stillen Verfall in einer anonymen, nächtlichen Welt.
Die erste Strophe beschreibt die Szenerie: Der Wagen steht verlassen, die „Gassenflucht“ ist leer – alles wirkt ausgestorben, beinahe gespenstisch. Das „viele Mondlicht“ wird dem Pferd „zu schwer“ – ein poetisches Bild, das den Eindruck von Müdigkeit, Überforderung und Einsamkeit verstärkt. Die Umgebung ist zugleich still und bedrückend, das Tier stampft, als wolle es auf sich aufmerksam machen – doch niemand reagiert.
In den mittleren Versen beschreibt Däubler das körperliche Siechtum der „Mähre“ (eines alten Pferdes). Sie hängt an der Deichsel, der Kopf baumelt, die Gelenke tragen sie kaum noch. Selbst das Warten wird zur Anstrengung, die ihr den Körper zusammenrenkt. Das Pferd erscheint hier fast menschlich – müde, gebrochen, unfähig zur Gegenwehr – ein Bild von Auszehrung, das zugleich Mitleid und Beklommenheit weckt.
Die Geräusche aus der Schänke – „Gezanke“ und „geiles Lachen“ – kontrastieren mit der leisen Tragik draußen. Sie reißen das Tier aus seinem dämmernden Halbschlaf und erinnern es an seine eigentliche Aufgabe. Doch der Impuls, loszufahren, ist trügerisch: Das Pferd scheint in einer Art Halbschlaf weiterzuleben, „hängt sich an sich selbst aus Schläfrigkeit“ – ein verstörend schöner Ausdruck für eine Bewegung, die keinem Ziel mehr folgt. Selbst der letzte „Polter“ der Droschkenbänke klingt wie das Echo eines Lebens, das längst stehengeblieben ist.
„Die Droschke“ ist ein leises, eindrucksvolles Gedicht über Erschöpfung, das in der Figur des wartenden Pferdes das Gefühl urbaner Vereinsamung, körperlicher Müdigkeit und geistiger Leere verdichtet. In Däublers Bildern verbinden sich Realismus und Symbolik zu einer fast traumartigen Szene, deren Beklommenheit lange nachhallt.
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Lizenz und Verwendung
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