Todesmut
Immer schwingt ein Totenfalter
Sich vor meinen Schritten auf:
Kündet er als Schicksalswalter
Meines Lebens kurzen Lauf?
Sieh! dort strahlt die lichte Sonne
Mir vom Himmelsbau herab,
Mahnt mich all‘ der süßen Wonne,
Die ich voll genossen hab‘.
Selig fühl‘ ich mich erbeben,
Und ich neige mich vor ihr:
„Nimm, was Dein war, all‘ mein Leben,
Ewig bleibt Dein Leuchten mir.“
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Todesmut“ von Felix Dahn setzt sich auf eindringliche Weise mit der eigenen Sterblichkeit auseinander und beschreibt eine Haltung von Annahme und innerer Größe im Angesicht des Todes. Schon in der ersten Strophe erscheint der „Totenfalter“ als Symbol der ständigen Nähe des Todes. Dass er sich „vor meinen Schritten auf“ schwingt, deutet auf eine unausweichliche, mitgehende Präsenz des Endes im alltäglichen Leben hin. Die Frage, ob er als „Schicksalswalter“ fungiert, stellt eine Verbindung zwischen Tod und vorherbestimmtem Lebenslauf her.
Doch das Gedicht kippt nicht in Angst oder Verzweiflung. In der zweiten Strophe wendet sich das lyrische Ich der „lichten Sonne“ zu – einem Bild für Freude, Leben und möglicherweise auch für ein höheres Prinzip oder Göttliches. Sie erinnert an die „süße Wonne“, die das Leben bereithielt, und das lyrische Ich erkennt dankbar an, dass es diese Fülle erleben durfte. Der Rückblick auf das gelebte Leben ist nicht geprägt von Reue, sondern von erfüllter Erinnerung.
In der letzten Strophe vollzieht sich eine bewusste Hinwendung zum Tod, jedoch nicht als Ende, sondern als Akt der Hingabe. Das lyrische Ich übergibt sein Leben freiwillig: „Nimm, was Dein war, all‘ mein Leben“. Es spricht den Tod fast an wie eine übergeordnete Instanz, der das Leben nur geliehen war. Zugleich bleibt das Licht – und damit symbolisch das Schöne, Wahre oder Göttliche – „ewig“ im Innern bestehen.
Dahn gelingt hier eine poetische Darstellung des „todesmutigen“ Menschen, der nicht gegen das Ende ankämpft, sondern es mit Würde, Dankbarkeit und einem Gefühl spiritueller Weiterexistenz akzeptiert. Die Sprache ist ruhig, getragen von einer feierlichen Gelassenheit, die dem Tod nicht das letzte Wort überlässt – sondern dem Leuchten, das bleibt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.