All mein‘ Gedanken
All mein‘ Gedanken, mein Herz und mein Sinn,
da, wo die Liebste ist, wandern sie hin.
Gehn ihres Weges trotz Mauer und Tor,
da hält kein Riegel, kein Graben nicht vor,
gehn wie die Vögelein hoch durch die Luft,
brauchen kein‘ Brücken über Wasser und Kluft,
finden das Städtlein und finden das Haus,
finden ihr Fenster aus allen heraus.
Und klopfen und rufen: Mach auf, lass uns ein,
wir kommen vom Liebsten und grüßen dich fein.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „All mein’ Gedanken“ von Felix Dahn beschreibt auf zarte und bildhafte Weise die unaufhaltsame Sehnsucht des lyrischen Ichs nach der Geliebten. In der Tradition mittelalterlicher Liebeslyrik steht hier die Vorstellung im Mittelpunkt, dass Gedanken und Gefühle eine eigene Macht besitzen – stärker als jede äußere Grenze, schneller als jede physische Bewegung. Die Liebe wird als geistige Verbindung dargestellt, die keine Hindernisse kennt.
Gleich zu Beginn wird deutlich: „All mein’ Gedanken, mein Herz und mein Sinn“ richten sich ausnahmslos auf die Geliebte. Dabei wird eine poetische Dynamik aufgebaut, in der die Liebe nicht nur im Inneren wirkt, sondern sich aktiv „auf den Weg“ macht – unabhängig von Mauern, Toren, Riegeln oder Gräben. Diese Hindernisse stehen sinnbildlich für gesellschaftliche, räumliche oder vielleicht auch emotionale Barrieren, die jedoch von der Kraft der Zuneigung überwunden werden.
In einer sanften Steigerung folgt die Vorstellung, dass die Gedanken wie „Vögelein“ durch die Luft fliegen. Dieses Bild verleiht ihnen Leichtigkeit, Freiheit und Zielstrebigkeit zugleich. Auch natürliche Grenzen wie Wasser oder Kluften stellen kein Hindernis dar – eine betonte Idealität der Liebesverbindung, die von keiner irdischen Distanz oder Grenze beeinträchtigt werden kann.
Besonders anrührend ist die Szene am Ende des Gedichts: Die Gedanken finden das Fenster der Geliebten – aus „allen“ heraus, was auf eine tiefe Intimität und Verbindung hinweist – und richten eine höflich-liebevolle Botschaft aus. Der letzte Vers ist fast wie ein kleines Minnelied: Die Gedanken klopfen, rufen und „grüßen dich fein“ – zart und doch eindringlich.
„All mein’ Gedanken“ ist ein schlichtes, aber wirkungsvolles Liebesgedicht, das mit volkstümlich anmutender Sprache und eingängigen Bildern die Macht und Zärtlichkeit des Erinnerns, der Sehnsucht und der geistigen Nähe betont. Es lebt vom romantischen Gedanken, dass Liebe auch über jede räumliche Trennung hinweg ihren Weg findet.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.