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Die Sternseherin Lise

Von

Ich sehe oft um Mitternacht,
Wenn ich mein Werk getan
Und niemand mehr im Hause wacht,
Die Stern‘ am Himmel an.

Sie gehn da, hin und her zerstreut
Als Lämmer auf der Flur;
In Rudeln auch, und aufgereih’t
Wie Perlen an der Schnur;

Und funkeln alle weit und breit,
Und funkeln rein und schön;
Ich seh die große Herrlichkeit,
Und kann mich satt nicht sehn…

Dann saget, unterm Himmelszelt,
Mein Herz mir in der Brust:
„Es gibt was Bessers in der Welt
Als all ihr Schmerz und Lust.“

Ich werf mich auf mein Lager hin,
Und liege lange wach,
Und suche es in meinem Sinn,
Und sehne mich darnach.

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Gedicht: Die Sternseherin Lise von Matthias Claudius

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Sternseherin Lise“ von Matthias Claudius beschreibt in schlichter, eindringlicher Sprache eine nächtliche Kontemplation über das Universum und die Sehnsucht nach einer höheren, inneren Wahrheit. Das lyrische Ich – verkörpert durch die Figur der Lise – betrachtet in stiller Einsamkeit den Sternenhimmel und wird dabei von einer tiefen, fast spirituellen Empfindung ergriffen.

Der nächtliche Blick zu den Sternen erzeugt eine Atmosphäre der Ruhe und Erhabenheit. Die Sterne werden mit Bildern aus der Natur verglichen – als „Lämmer auf der Flur“ oder „Perlen an der Schnur“ – was ihre Schönheit und Ordnung in der Unendlichkeit betont. Diese zarten Vergleiche verleihen der Szene eine fast kindliche, unschuldige Perspektive und rücken das Staunen über die Schöpfung in den Mittelpunkt.

In der Betrachtung entsteht eine innere Stimme, die das Herz des lyrischen Ichs anspricht: „Es gibt was Bessers in der Welt / Als all ihr Schmerz und Lust.“ Diese Zeilen sind der geistige Wendepunkt des Gedichts. Sie zeigen, dass die äußere Schönheit des Kosmos zu einer inneren Erkenntnis führt – nämlich zur Ahnung von etwas Höherem, das jenseits von irdischem Leiden und Vergnügen liegt. Es bleibt unbenannt, aber die tiefe Sehnsucht danach durchzieht das Gedicht wie ein stilles, gleichmäßiges Pulsieren.

Der Schluss verdeutlicht, dass diese nächtliche Erfahrung das Ich nicht zur Ruhe kommen lässt. Die Suche nach dem „Besseren“ lässt es lange wach liegen. Damit verweist das Gedicht auf eine existenzielle Sehnsucht nach Sinn, Trost oder vielleicht auch nach göttlicher Nähe. In seiner Einfachheit und Innigkeit ist „Die Sternseherin Lise“ ein stilles, melancholisches Gedicht über die Größe der Welt und das Verlangen nach einem tieferen, erfüllenden Zusammenhang jenseits des Sichtbaren.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.